1048 - Blutende Schatten
Fahrschüler in einer ersten Stunde gab er zuviel Gas. Er hörte auch, wie der Motor heulte, bekam mit, wie sich die Räder drehten, noch festhakten, sich dann losrissen, der Fiat geschüttelt wurde und nach hinten sprang, als wäre er ein lebendiges Tier.
Er war weg von der Böschung, aber der Fiat stand, da Sugar den Motor abgewürgt hatte.
Er verfluchte sich selbst. Es war so einfach, wenn man gesagt bekam, man sollte sich zur Ruhe zwingen. Sugar versuchte dies mit all seinen Kräften und hatte seine Schwierigkeiten damit.
»Die Scheiße ist doch, daß ich so allein bin!« flüsterte er scharf vor sich hin. Es gab keinen Menschen, an den er sich hier in der Einöde hätte wenden können. Und den Weg fuhr zu dieser Zeit erst recht niemand hinauf.
Das Schicksal seines Freundes hatte er vergessen, da er zu sehr mit seinen eigenen Problemen beschäftigt war. Er schaffte es endlich wieder, den Fiat zu starten.
Diesmal kam er auch weg.
Er rollte zurück, lenkte gegen und befand sich wieder auf der Straßenmitte.
Etwas war trotzdem mit dem rechten Kotflügel geschehen, denn der entsprechende Scheinwerfer auf dieser Seite strahlte nicht mehr so geradeaus, wie es eigentlich hätte sein sollen. Sein Winkel war ein anderer geworden. Er drängte sich nach rechts, an den Straßenrand.
Sugar ließ sein Auto langsam anrollen. Diesmal schaffte er es, sich zu konzentrieren. Er horchte sehr genau nach fremden Lauten, die nicht zu den normalen Fahrgeräuschen paßten. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn der rechte Reifen an der inneren Kante des Kotflügels entlanggeschleift wäre, aber das war nicht der Fall.
Glück gehabt! Verdammt viel Glück!
Sugar ging es wieder besser. Das leise Stöhnen klang nicht schmerzhaft, sondern eher beruhigend.
Zwar klapperte es irgendwo vorn, doch damit konnte er sich abfinden, weil seine Fahrt in Richtung Lauder nicht behindert wurde.
Er mußte noch einige Kurven durchfahren, bis er sein Ziel erreicht hatte.
Dann bin ich da, dachte er. Ja, okay, aber wie geht es weiter? Was soll ich denn tun? Wie soll ich Nicos Eltern klarmachen, daß es ihren Sohn nicht mehr gibt? Der Alte wird mich umbringen. Nico ist wirklich kein Engel gewesen, doch seine Eltern haben ihn, das einzige Kind, wirklich vergöttert.
»Wer kann mir überhaupt helfen?« flüsterte er vor sich hin. »Gibt es jemand?« Sugar schüttelte verzweifelte den Kopf. Er war nicht in der Lage, sich eine Antwort zu geben.
Lauder rückte näher. Deutlicher traten die Lichter hervor, die wie Sterne zwischen den Häusern schwebten. Ich muß eine Person finden, der ich vertrauen kann, dachte Sugar. Egal, ob es eine Frau oder ein Mann ist. In Lauder muß man es wissen. Auch den Einbruch wollte er gestehen und natürlich über das seltsame Licht im Keller sprechen, das er gesehen hatte. Das Licht, das Blut und die Schatten, da mußte es einfach einen Zusammenhang geben.
Wer war eine Vertrauensperson? Er wollte auch nicht warten, bis es hell geworden war, sondern noch in dieser Nacht ein Gespräch führen. Es gab eigentlich nur einen Menschen in Lauder, dem er vertraute, auch wenn dieser nicht eben sein Freund war.
Der Mann hieß Terence Bull. Er leitete die Polizeistation in Lauder, und er hatte sich in der Vergangenheit als patenter Typ herausgestellt. Das wußte Sugar nicht aus eigener Erfahrung, darüber hatten die Bewohner gesprochen.
Also Terence Bull!
Auch in der Nacht.
Nach diesem Entschluß fühlte sich der junge Mann wieder etwas besser. Er fuhr allein weiter, doch er hatte nicht den Eindruck, allein zu sein. Zwar war der Nebensitz leer, alles richtig, nur dachte Sugar daran, daß Nico Goodwin unsichtbar neben ihm saß, mitfuhr, alles sah und hörte, und dabei auf eine günstige Gelegenheit wartete, auch ihn in das Reich der Schatten zu holen oder selbst in einen Schatten zu verwandeln. Diese Vorstellung ließ ihn frieren…
***
Viel besser ging es mir am anderen Morgen auch nicht. Der Schlaf war einfach zu kurz und auch zu unruhig gewesen. Ziemlich gerädert kroch ich aus dem Bett, stieg unter die Dusche und war gedanklich noch immer mit den Alpträumen der vergangenen Nacht beschäftigt. Ich fragte mich, ob ich sie nur einfach so erlebt und durchlitten hatte, wie viele andere Menschen auch, oder ob unter Umständen mehr dahintersteckte, viel mehr.
Ob sich das Telefon schon länger gemeldet hatte, wußte ich nicht. Jedenfalls hörte ich es, als ich die warmen Strahlen abdrehte, aus der Dusche stieg, mir das Badetuch
Weitere Kostenlose Bücher