105 - Der Ruf nach Freiheit
Felik gehangen hatte, war leer.
Schön, in den Ketten steckte noch seine Hand, aber das machte angesichts der zerhackten Leiche nun wirklich nichts her.
Zwei Kolks kreisten in der Luft wie schwarze Geier. Einer zog Schleifen um den Platz und das Dorf, der andere flatterte über den Statuen herum, auf der Suche nach einem eisfreien Fleck.
Rote Augen beobachteten ihn.
»Siehst du das?«, raunte der Albino, den Kopf zur Seite geneigt. Sigur runzelte die Stirn. Er bemerkte, dass der Kolk eine weiße Schwungfeder an den Flügeln hatte.
Den feinen Schimmer im Brustgefieder aber sah nur Rulfan.
Als das Tier gelandet war, zeigte, seine Brust genau auf die beiden Sklaven. Rulfan zögerte keinen Moment. Ob es tatsächlich ein Spionage-Kolk war - das lang ersehnte Zeichen aus Britana -, wusste er nicht. Aber die Möglichkeit bestand, und er musste sie nutzen.
Langsam, um den kleinen Hoffnungsträger nicht zu verscheuchen, ging Rulfan auf ihn zu und winkte dabei mit hoch gestreckten Armen.
Er hörte nicht auf zu winken. Selbst dann nicht, als der Sklavenhüter mit einem energischen »Platz da!« Sigur beiseite stieß, Rulfan überholte und ihm den Weg verstellte.
Gosta schüttelte den Kopf. »Ach, Rulfan«, seufzte er wie ein Vater, dessen kleiner Bub soeben die dritte rote Ampel in Folge übersehen hat. »Rulfan, Rulfan! Was mache ich nur mit dir? Wir waren uns doch einig, dass meine Befehle ohne Wenn und Aber ausgeführt werden, oder?«
Der Albino starrte ihn an. Seine Nasenflügel bebten.
»Und hatte ich etwa nicht gesagt: Keine Trödelei auf den Wegen?«, fuhr Gosta fort.
»Vielleicht«, knurrte Rulfan.
»Oh - nur vielleicht.« Gosta nickte bedächtig. »Da habe ich mich wohl unklar ausgedrückt. Mein Fehler. Wie dumm. Nun, dafür kannst du nichts, also werde ich dich auch nicht bestrafen. Weißt du was? Wir holen stattdessen deinen Freund McKenzie her und…«
»Nein!«, fiel ihm der Albino ins Wort. »Lass ihn in Ruhe, Gosta! Dave hat nichts getan. Das hier ist meine Sache, die regele ich selbst.«
Der glitzernde Triumph in Gostas Blick war schwer zu ertragen. Aber Rulfan hielt ihm stand, zog seine Jacke aus und schleuderte sie in den Schnee.
»Tja, dann…« Gosta trat zwei Schritte zur Seite. Er klinkte die Peitsche vom Gürtel.
Der Schlag war gnadenlos. Rulfan fiel nach vorn, als die dünne Lederschnur seine Haut zerriss. Wortlos peitschte Gosta auf ihn ein, und genauso wortlos nahm der Sohn des Prime von Salisbury es hin. Hätte er sich gewehrt, er hätte den Abend nicht mehr erlebt. Also biss er die Zähne zusammen und hielt seine Gedanken auf den Kolk gerichtet, der vom Göttertor herübersah.
So klein, so fern - so frei.
»Mach, dass du ins Lager kommst! Aber schnell!«, brüllte Gosta, als ihn die Lust verließ, einen Mann zu schlagen, der nicht um Gnade betteln würde. Er stapfte davon. Rulfan hatte Mühe, ihm zu folgen. Sigur holte den Freund mit wenigen Schritten ein.
»Erkläre es mir!«, befahl er säuerlich. »Du nimmst solche Prügel in Kauf, nur um einen Kolk zu verscheuchen? Warum?«
»Ich habe den Kolk nicht verscheucht«, brummte Rulfan.
Sein Leidensgefährte warf einen Blick zurück. »Stimmt. Das blöde Vieh ist immer noch da. Es hockt am Boden und frisst gerade unsere mühsam geernteten Fa'rea-Schnecken.«
»Er frisst die Schnecken?« Rulfans Kopf flog herum. Die Männer sahen sich an. Sie grinsten.
»Oh-oh!« Sigur wackelte mit der Hand. »Na, das gibt aber eine Überraschung im heimischen Nest!«
***
»Hol ihn zurück, Andrew! Was immer Digger zwei da zerpickt - Vertrauen erweckend sieht es nicht aus«, sagte Peter Shaw in die geschockte Stille hinein. Der EWAT parkte inzwischen an einem Küstenstreifen der Isle of Doom , ein ganzes Stück vom Dorf der Hoggads entfernt.
Andrew nickte stumm. Er hatte die Kamera dieses einen Kolks auf das gesamte Halbrund der Monitore geschaltet, nachdem Commander Drax eine vertraute Silhouette zwischen den Sklaven entdeckt und gerufen hatte: »Dave! Da ist Professor McKenzie!«
Ein Korb war umgefallen, ein Aufseher war herbei gerannt.
Matt und sein Team hatten das ganze Geschehen am Bildschirm verfolgt. Bis jetzt, in allen brutalen Einzelheiten.
Aruula stand wie versteinert. Maddrax hatte ihr erklärt, was
»Übertragung in Echtzeit« bedeutete, und sie wünschte, er hätte es nicht getan. Der Gedanke, dass sie einem Fremden dabei zugesehen hatte, wie er ihre Freunde quälte, beschämte die junge Kriegerin. Denn das war Aruula, auch
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