1050 - Die Nymphe und das Monster
Nymphen?
Ich jedenfalls war auf die Zukunft gespannt. Und es freute mich auch, als Grace Felder mir vorschlug, gemeinsam den Abend zu verbringen.
»Warum nicht?«
»Du kennst dich hier aus in London, John.«
»Keine Sorge, Grace, wir werden das entsprechende Restaurant schon finden…«
***
Don Carmacho hörte die Stimmen. Sie drangen aus dem Wasser hoch zu ihm. Sie wehten wie ein leiser Gesang über die Oberfläche des Teichs hinweg und schienen wie Bänder zu sein, die ihn hielten und dabei immer näher an den Teich heranzogen.
Er merkte nicht, wie er von den tiefhängenden Zweigen der Trauerweide gestreift wurde. Sein Sinnen und Trachten galt einzig und allein einem Ziel.
Nahe an die Quelle des Gesangs herankommen. Zu den Sängerinnen mit den lockenden Stimmen hin, die er nur hörte und nicht sah. Sein Blick war auf das Wasser gerichtet, das sich noch nicht beruhigt hatte. Nach wie vor gab es den Strudel, der einen Trichter bildete. Inzwischen mußte er bis zum Grund reichen, wo er eigentlich den Schlamm und den Dreck hätte aufwühlen müssen.
Das war nicht der Fall. Es wurde kein Schmutz in die Höhe gewirbelt. Der Pfarrer sah nur das Wasser, wie es rotierte. Er konnte auf die Innenwände des Trichters schauen, die ihm vorkamen wie dunkelgrünes, sich immer weiter drehendes Glas.
Es war faszinierend für ihn. Gerade weil innerhalb dieser »gläsernen« Trennwände plötzlich Figuren erschienen, als hätte ein Maler sie innerhalb von Sekunden hineingezeichnet.
Zuerst erkannte er nicht, was sich dort abspielte. Wenig später sah er es.
Es waren Formen, Gestalten. Frauengestalten. Durch die Drehungen verzerrt, aber die Körper blieben, auch wenn sie schräg lagen oder in die Länge gezogen wurden.
Nackte Körper. Wunderschöne Gesichter. Köpfe mit langen Haaren, die sich bei den Drehungen selbst in Wellen oder Wasser zu verwandeln schienen.
Der Geistliche war fasziniert. Ohne es selbst zu merken, war er sehr nahe an den Teich herangegangen. Er stand jetzt in der direkten Uferregion. Dabei spürte er den weichen Boden unter den Füßen. Das Wasser selbst breitete sich durch den Schwung über das normale Ufer hinweg aus und leckte schon an seinen Fußspitzen.
Der Pfarrer schaute schräg in die Tiefe. Der Trichter war noch da.
An seinen Seiten schimmerten und bewegten sich die nackten Körper der jungen Frauen.
Es war ein märchenhaftes Bild. Er sah zwar alles nur schemenhaft, aber der Gesang war so überdeutlich geworden. Er lockte ihn.
Er war wichtig, denn der Mann sollte nicht länger am Ufer stehenbleiben. Sein Ziel war das Wasser.
Noch hatte er sich nicht überwinden können. Aber er war bereits in einer anderen Zone gefangen. Die Kälte nahm er nicht mehr wahr. Auch nicht die Spritzer, die sein Gesicht trafen. Für ihn hatten sich die Dinge verändert. Er war derjenige, der sich bald durch einen einzigen Schritt aus seinem Leben entfernen würde, um in ein anderes hineinzutreten. Er wollte diesen Gesang aus unmittelbarer Nähe hören, der so wunderbar für ihn war. Dieser lockende sirenenhafte Klang. So wunderbar wohltönend in seinem Kopf. Keine eigentliche Melodie. Viele fremde Laute und trotzdem nicht atonal.
Das Wasser drehte sich weiter. Die Körper schwangen an den Innenwänden des Strudels mit. Er zeigte sich heller als das übrige Gewässer, und die lächelnden Gesichter der Nymphen waren einzig und allein auf den am Ufer stehenden Mann gerichtet.
Es gab ein Band zwischen ihnen. Eine Strecke der Sympathie. Etwas Wunderbares, das den einsamen Geistlichen wie einen warmen Strom erwischte. Sein Widerstand war längst erloschen. Obwohl die Nymphen nur sangen, hörte er in seinem Kopf ihre Stimmen oder bildete sich ein, sie zu hören.
»Komm zu uns, komm in unser Reich. Wir warten auf dich! Wir mögen dich. Komm zu uns. In unsere Welt…«
In Don Carmacho wuchs kein Widerstand hoch. Er versuchte es auch gar nicht. Er war festgelegt. Die andere Seite hielt ihn voll und ganz im Griff.
Der Strudel – Gesichter, die so wunderschön lächelten und dadurch das Locken des Gesangs verstärkten. Da konnte er einfach nicht widerstehen. Niemand schaffte das, und so ging er weiter, ohne auf sich Rücksicht zu nehmen.
Der nächste Schritt brachte ihn schon bis in das Wasser hinein. Er hörte es klatschen, als er mit dem Fuß aufsetzte. Das linke Bein zog er nach, und dann ging er einfach weiter.
Er baute keinen Widerstand gegen das Wasser auf. Er ging einfach hinein. Er empfand es nicht als
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