1050 - Die Nymphe und das Monster
vielleicht die Schuld?«
»Indirekt schon«, gab sie zu. »Was in Paxton damals passierte, kann man nicht einfach so wegwischen, finde ich. Das war sicherlich auch nicht einmalig. So etwas kann überall vorkommen. An vielen Orten, denn diese Dinge kennen keine Grenzen.«
»Da hast du recht.«
»Ich war eben auf der Suche.« Sie schaute mich unter hochgezogenen Augenbrauen an. »Irgendwo hast du mich beeinflußt, John. Ich fand plötzlich eine neue Aufgabe. Ich wollte wissen, ob es noch andere Rätsel und Fälle gibt. Ich habe mir dabei Wales vorgenommen. Das lag auf der Hand, denn in diesem Landstrich haben sich Sagen und Legenden besonders lange gehalten. Eben wie in Cornwall. Wales ist einsam, ist noch von keltischer Tradition geprägt, obwohl oft genug katholisch. Na ja, und da habe ich mich eben umgeschaut.«
»Auch etwas gefunden?«
»Ja, John, ja!«
»Sehr gut, Grace.«
Sie streckte mir ihre Handfläche entgegen. »Hör bitte auf. Sieh es nicht zu locker. Nimm mich bitte auch nicht auf den Arm. Die Dinge liegen anders.«
»Dir ist es demnach ernst.«
»Genau das ist es. Deshalb kann ich dir auch sagen, daß dieses Treffen mit dir nicht unbedingt nur privat ist. Ich wußte sonst nicht, an wen ich mich hätte wenden sollen.«
»Dann laß hören.«
»Klar«, murmelte sie vor sich hin und dachte noch kurz nach.
»Auf meinen Reisen durch das Land geriet ich in einen Ort, der Llangain heißt. Liegt im tiefsten Wales. Ist praktisch von der Zeit vergessen worden, das Gefühl hatte ich. Gegen Llangain ist Paxton eine Großstadt. Kurz und gut, ich fuhr also hin. Es kann auch der Zufall gewesen sein, der mich hintrieb, ist ja egal. Ich habe mich dort umgeschaut und hörte von einer Besonderheit im Ort. Von einem Blutaltar.«
Plötzlich war ich hellwach. »Wie bitte?«
»Ja, ein Blutaltar.«
»Das ist ein Ding!«
Sie lächelte knapp. »Ich weiß, John, doch es ist kein Witz. Es gibt diesen Blutaltar.«
»Den du natürlich gesehen hast.«
»Klar.«
»Wo denn?«
»In einer alten romanischen Kirche. Man hat ihn dort aufgestellt. Er wurde bei Ausgrabungen irgendwann gefunden und dient eben nun als Altar.«
»Warum denn Blutaltar?«
»Weil er blutet.«
»Das hatte ich nicht fragen wollen, Grace.«
»Blutender Stein«, flüsterte sie. Jetzt sah ich einen Schauer auf ihrer Haut.
»Hast du das gesehen?«
»Nein«, erwiderte sie ehrlich. »Ich habe davon gehört. Den Altar selbst sah ich schon, doch er hat nicht geblutet, als ich die Kirche betrat.«
»Und woher weißt du dann, daß er blutet?«
»Eine Zeugin hat es mir so erklärt, daß ich ihr jedes einzelne Wort glaube.«
»Was war das für eine Frau?«
Sie blieb ernst. »Lach jetzt nicht, John. Die Frau heißt Madge. Sie ist so etwas wie die Kräuterhexe von Llangain. Eine – ich gebe zu – ungewöhnliche Frau, die ihre Weisheit aus dem Leben geholt hat. Sie ist ebenfalls jemand, der hinter die Dinge schaut, und sie hat mir die Geschichte mit einem so großen Ernst erzählt, daß ich ihr jedes Wort geglaubt habe.«
Ich nickte. »Gut, das habe ich verstanden. Aber wie ist es mit den anderen Bewohnern?«
»Die halten Madge für eine Spinnerin. Zumindest nach außen. Hinter vorgehaltener Hand allerdings sind sie ebenfalls der Meinung, daß mit dem Altar was nicht stimmt.«
»Warum wechseln sie ihn nicht aus?«
»Das habe ich mich natürlich auch gefragt. Die Antwort ist sehr simpel. Sie haben Angst, John, einfach nur Angst. Deshalb wechseln sie ihn nicht aus.«
»Du glaubst also daran?«
»Sehr.« Grace trank wieder einen Schluck. »Ich habe ihn ja gesehen, und ich bin der Meinung, daß er nicht unbedingt wie ein Altar aussieht, ehrlich.«
»Was macht ihn so ungewöhnlich?«
Mit dem ausgestreckten Zeigefinger zeichnete Grace Felder die rechteckigen Umrisse des Altars in die Luft. »An den Seiten befinden sich Vertiefungen. An den Ecken gibt es für diese Vertiefungen Öffnungen, so daß man ihnen einen bestimmten Namen geben muß. Es sind für mich Rinnen.«
»Verstehe. Für das Blut der Opfer.«
»Ja, du hast es erfaßt.«
»Das nimmst du an?«
»Ich glaube daran. Ich weiß es, wie auch immer. Diese Madge hat es mir erzählt.«
»Dann muß sie auch gewußt haben, daß auf diesem Altar jemand geopfert wurde – oder?«
»Davon ist auszugehen.«
»Wer wurde geopfert?«
Sie lehnte sich zurück. »Wenn ich das wüßte, John. Meiner Ansicht nach muß man zurück bis in die Keltenzeit gehen. Ich glaube nämlich, daß der Steinaltar aus
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