1050 - Die Nymphe und das Monster
dieser Epoche stammt. Es sind die Kelten gewesen, die ihn gebaut haben. Du weißt selbst, daß sie auch Opfer brachten und bei ihnen Druiden eine Rolle spielten.«
Ich lächelte. »Gut recherchiert, Lady.«
»Das bin ich mir schuldig. Ich hatte zudem in der alten Madge eine gute Lehrmeisterin.«
Ich lehnte mich zurück und schaute sie etwas skeptisch an.
»Mehr hast du nicht in der Hand, Grace?«
»Leider nein. Oder nicht viel mehr. Ich verlasse mich auf mein Gefühl. Es sagt mir, daß an dieser Geschichte nicht alles gelogen sein kann. Ich stehe dazu.«
»Gab es denn jemand, der auf dem Altar geopfert wurde?«
»Madge hat es mir bestätigt.«
»Sie weiß es also? Auch die anderen?«
»Die Leute reden nicht darüber. Ich habe ja versucht, mit anderen über dieses Thema zu sprechen. Die Bewohner zeigen sich verschlossen. Sie wollen nichts damit zu tun haben. Wahrscheinlich ist es die Angst, die sie zum Schweigen verdammt. Es ist jedenfalls Blut auf dem Altar geflossen. Madge sagt auch, daß der Altar selbst blutet. Daß er selbst ein Unrecht ist und in seinem Innern das Blut der Gerechten pulsiert. So sind meine Erfahrungen.« Erleichtert atmete sie auf. »Jetzt weißt du alles, John.«
»Stimmt, Grace. Wie ich dich kenne, möchtest du, daß ich mir den Altar anschaue.«
»Ja, zusammen mit mir.« Sie deutete auf ihre Brust. »Da sitzt etwas, John, das mir die Wahrheit sagt. Ich fühle es. Einiges geht in Llangain nicht mit rechten Dingen zu. Hinzu kommt noch etwas, das mich mißtrauisch macht. Du kannst es ein Vorurteil oder einen Tick nennen. Ich jedenfalls sehe es anders und möchte natürlich gern deine Meinung dazu erfahren.«
»Raus mit der Sprache.«
Sie suchte nach den richtigen Worten und fand sie bald. »Der Ort Llangain liegt unweit eines Flusses mit dem Namen Tywi. Das Gelände ist sehr feucht und sumpfig. Es gibt in der Gegend viele Gewässer. Zumeist nur kleine Teiche oder Tümpel.« Sie schaute mich aus schmalen Augen an. »Du weißt, was ich da denke, John?«
»Klar. An den Teich bei Paxton, in dem die Kinder ertranken.«
»Genau. Deshalb auch meine Subjektivität. Einen derartigen Teich gibt es auch in Llangain.«
»Wo? Im Ort? Außerhalb…?«
»Außerhalb, John, aber nicht weit entfernt. Es gibt ihn dort, wo auch die Kirche steht. Praktisch auf dem Grundstück. Hinter der Kirche. Ich habe ihn gesehen, und er ist von alten Trauerweiden eingerahmt. Der Teich sieht unheimlich aus. Er ist sehr düster. Man kann sich vorstellen, daß in ihm oder auf seinem Grund eine verborgene Welt lebt.« Sie schüttelte sich. »Da kann man schon Angst bekommen, auch wenn ich an Paxton und die Kinder denke.«
»Spielt er denn eine Rolle in deinem Fall? Anders gefragt: Gibt es zwischen ihm und dem Blutaltar eine Verbindung?«
»Ja«, sagte sie stöhnend. »Das ist wirklich schwer zu sagen, ob die Verbindung existiert. Jedenfalls habe ich mit der alten Frau auch über den Teich gesprochen.«
»Und was ist dabei herausgekommen?«
»Auch er hat seine Legende oder Sage. Er soll die Heimat irgendwelcher Wasserwesen sein.«
»Welcher?«
»Nymphen.«
»Oh…«
Sie nickte mir zu. »Ja, Nymphen. Gefährliche Sirenen. Schöne, junge Frauen, die ihre Opfer zu sich in die Tiefe holen und sie ertrinken lassen.«
Ich lächelte mokant. »Glaubst du das?«
Grace Felder wartete mit einer Antwort. Nach einer Weile nickte sie und flüsterte: »Ja, das glaube ich. Ich selbst habe doch in Paxton erlebt, was es nicht alles geben kann. Ich hätte doch nie gedacht, daß aus einem Teich tote oder untote Kinder steigen. Warum dann nicht auch Nymphen, John? Was spricht dagegen?«
»Was sind Nymphen?« murmelte ich.
»Das stammt aus dem griechischen, John, da habe ich mich schon erkundigt. Übersetzt heißt es wohl Braut oder jungvermählte Frau.«
»Kann man wohl so stehenlassen«, sagte ich. »Ich würde sie eher als anmutige Naturgeister ansehen, die in der griechisch-römischen Dichtung und Mythologie erscheinen. Man kann sie doch unterteilen…«
»Klar. In Okeaniden und Nereiden, die im Meer leben. Dann gibt es noch die Najaden, die Nymphen der Landgewässer, aber auch Oreaden und Aiseiden, die in den Bergen und im Wald leben…«
Ich winkte ab. »Bitte, Grace, laß es, das ist mir bekannt.«
»Pardon, ich wollte dich nicht belehren. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß man sie auch die ›Töchter des Zeus‹ genannt hat. Aber ihre Existenz ist nicht nur auf die griechische oder römische Mythologie
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