1050 - Die Nymphe und das Monster
über denen ein kalter Dunst lag, der ebenfalls wie festgefroren schien. Es deutete sich die Nähe des Wassers an.
Und wir sahen die Kirche. Trotz ihres Stummelturms überragte sie die Häuser. Ein dunkles und relativ schmales Gebäude ohne Licht, das von der Düsternis dieses grauen Nachmittags umgeben war und wie ein steinernes Gespenst in der frostklirrenden Kälte stand.
Auch der Brunnen wurde vom Licht der Scheinwerfer erfaßt. Es fiel auf das Gestein, in das sich ebenfalls die Kälte festgefressen hatte.
Ich stoppte.
Neben mir atmete Grace Felder auf. »Wir haben es geschafft.«
»Hast du daran gezweifelt?«
»Ich weiß es nicht so genau. Ich möchte auch nicht darüber nachdenken. Die Reise ist ja nicht eben kurz gewesen. Und das bei diesen Bedingungen.«
»Du vergißt unsere Übernachtung.«
Nach dieser Antwort errötete sie leicht und streichelte meine Hand. »Nein, die habe ich nicht vergessen.«
»Ich auch nicht, wenn ich ehrlich sein soll.« Nun ja, wir hatten zwar jeder ein Einzelzimmer genommen, doch zu fortgeschrittener Stunde war das Fleisch doch schwächer gewesen. Es ist ja auch nichts Schlimmes dabei, wenn zwei Menschen, die sich sympathisch sind, eine Nacht intim zusammen verbringen.
Die drückende Kälte sorgte dafür, daß die Gedanken daran verschwanden. Ich war als erster ausgestiegen, stand neben dem Wagen in der kalten Luft und sah überall das Eis. Auch auf dem Gestein des Brunnens hatte es sich festgesetzt.
Grace stand auch neben dem Auto. Die Tür drückte sie so leise ins Schloß wie ich. Von hier aus schauten wir auf den Eingang der kleinen Kirche und sahen auch die dunkle Tür.
»Wohin, John?«
»Ich schlage vor, wir schauen uns zunächst den Tümpel an und später die Kirche.«
»Gut.«
»Du kennst den Weg?«
Grace Felder nickte. Sie ging um die Schnauze des Rovers herum und deutete dann an der Bereitseite der kleinen Kirche entlang.
»Dort müssen wir hin.«
Auch hier zeigte sich kein Mensch. Wir waren die einzigen, die diese eisige Stille störten. Das dunkle Astwerk der Bäume war mit einer hellen Schicht überzogen. Sicherlich waren schon einige Äste oder Zweige durch dieses zusätzliche Gewicht abgebrochen. Wie schlimm Eis und Kälte sein können, hatten uns die Bilder aus Kanada gezeigt, wo der Winter überaus brutal zugeschlagen hatte.
Der kondensierte Atem wich nicht vor unseren Lippen. Die Kälte drückte gegen unsere Gesichter. Beide waren wir dick angezogen.
In meiner Lederjacke befand sich ein Futter, und den Kragen hatte ich hochgestellt. Grace trug Thermokleidung und hatte ihre Hände in den warmen Taschen der Jacke vergraben.
Wir gingen an der Kirchenmauer entlang. Ich schaute auf die Fenster, auf denen sich Eisblumen abgesetzt hatten, die ungwöhnliche Muster und Gebilde auf dem Glas hinterlassen hatten. Auch ein Zeichen dafür, daß die Kirche nicht mehr geheizt wurde.
Es gab einen mit Steinen bedeckten Weg, der in den hinteren Teil des Grundstücks führte. Wir verzichteten jedoch darauf, ihn zu nehmen, denn auf den Steinen schimmerte oft genug das blanke Eis. Die Gefahr, auszurutschen, war besonders groß. Mir kam es in unmittelbarer Nähe der Kirchenmauer noch kälter vor, und auch Grace Felder schüttelte sich.
»Eigentlich müßte die Oberfläche des Teichs ja zugefroren sein«, sagte ich.
»Ja, müßte.« Sie nickte. »Als ich dort war, schimmerte das Wasser noch wie immer. Dunkel, düster. Da kann man wirklich den Eindruck gewinnen, als wäre es der Zugang in eine andere Welt. Na ja, vielleicht stimmt das ja auch.«
Ich hielt mich mit einer Bemerkung zurück, da ich keinen Spekulationen Vorschub leisten wollte. Trotzdem schaute ich mich sehr genau um. In dieser Umgebung und bei dieser Kälte hielt sich kein Mensch auf. Der Atem eines Eisgottes hatte alles erstarren lassen.
Grace zog den rechten Arm aus der Tasche und deutete nach vorn. »Dort liegt der Teich.«
Zu sehen war er noch nicht oder kaum. Sie hatte auch mehr die Trauerweiden gemeint, die den Teich umstanden. Bäume, die ebenfalls erstarrt und wie tot wirkten. Die zudem aussahen wie riesige Pilze und deren Zweige wie Eisfäden nach unten hingen und beinahe den Boden erreichten, als wären sie auf der harten Erde festgewachsen.
Die Bäume umstanden den Teich wie schützende Wächter. Wenn es sehr kalt ist, dann kommt mir zumindest auch die Stille anders vor. Das war hier der Fall. Eine ungewöhnliche und fast schon lauernde Ruhe umgab uns. Es wehte auch kein Wind. Die Luft
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