1050 - Die Nymphe und das Monster
abgeschlossen.
Raus aus der Kirche. Durchs Freie laufen, dann hinein in sein kleines Pfarrhaus. Er sah es als einzigen Fluchtweg an. Das Haus stand auch nicht weit von der Kirche entfernt, noch auf dem gleichen Grundstück. Nur lag zwischen der Kirche und dem Pfarrhaus noch der kleine Teich. Auch er würde kein Hindernis sein.
Der Pfarrer rannte los. Er lief gebückt, als stünde jemand neben ihm, der permanent mit einer Peitsche zuschlug. Beim ersten Anlauf verfehlte er die Klinke der Tür, griff ins Leere. Mit dem Gesicht schabte er noch über das Holz, das zum Glück nicht aufgerauht war.
Beim zweiten Versuch stieß er die schmale Tür auf. Wie ein Betrunkener wankte er über die Schwelle hinweg. Dann hinein in den kleinen Raum, in dem es ebenfalls nach Kerzenwachs roch und auch nach verschüttetem Weihwasser. Das nahm er nur am Rande wahr. Für ihn war es wichtiger, nach draußen zu kommen.
Die zweite Tür lag etwas versteckt neben dem großen Schrank.
Auch sie schloß er nie ab. In Llangain gab es keine Bewohner, die in die Kirche einbrachen und durch die Sakristei schlichen.
Endlich weg!
Die kalte Luft, der böige Wind. Beides peitschte in sein Gesicht und raubte ihm für einen Moment die Luft. Er hielt den Kopf zurückgelegt und schaute dabei nach oben in den dunklen Himmel, wo die Wolken zu einem Spielball des Windes geworden waren und ihre lautlosen Tänze drehten. Der Weg zu seinem Haus war dem Pfarrer so vertraut wie selten etwas in der Gegend. Sehen konnte er es noch nicht. Die um den Teich herumstehenden Trauerweiden nahmen ihm die Sicht. Auch sie wurden vom Wind erfaßt, der mit ihren dünnen, nach unten und fast bis zum Boden hängenden Ästen spielte.
Er lief einfach los. Der Atem fauchte dabei über seine Lippen. Die Haare wehten hoch. Wind erfaßte den Mantelstoff und schleuderte das Kleidungsstück auf und nieder.
Wegrennen. So schnell wie möglich. Sich im Haus verkriechen, sich das Ungeheuere noch einmal durch den Kopf gehen lassen und versuchen, durch ein Gebet etwas dagegen zu unternehmen.
Es gab einen schmalen, mit lückenhaftem Pflaster angelegten Weg, der von der Kirche zum Haus führte und dabei den Teich an der rechten Seite umging.
Wie oft war Don Carmacho ihn gegangen. Hier hatte er seine Predigten vorbereitet, sein Brevier gelesen. Er kannte fast jeden Grashalm, der zwischen den Steinen hochwuchs. Ausgerechnet an diesem Abend verfehlte der Pfarrer den Weg. Er war einfach nicht in die entprechende Richtung gelaufen und deshalb vom Weg abgekommen. So lief er immer mehr auf das Ufer des nahen Teichs zu und geriet in den Schattenbereich der ersten Bäume.
Es hatte in den vergangenen Tagen geregnet und geschneit.
Dementsprechend feucht war der Boden geworden. An manchen Stellen auch sehr glatt. Zumeist dort, wo sich der Untergrund etwas moosig abzeichnete und zum Teich hin leicht abfiel.
Der Pfarrer erreichte diese Stelle ohne es zu wollen. Es war bisher alles glatt gegangen. Carmacho erschreckte sich nur, als die Spitzen der Zweige gegen sein Gesicht schlugen. Er war für einen winzigen Moment durcheinander und trat mit dem linken Fuß genau falsch auf. Er glitt in das Moos hinein und aus.
Der Pfarrer hatte das Pech, sich nicht mehr halten zu können.
Auch wenn er seine Arme in die Höhe riß, die Zweige der Trauerweide glitten durch seine Hände. Sie gaben ihm keinen Halt. So stürzte er auf den Bauch und hatte noch Glück im Unglück, weil der bemooste Boden seinen Aufprall dämpfte.
Trotzdem rutschte er weiter auf das Ufer zu und hörte sich selbst schreien. Ein aus dem Boden ragender Gegenstand bremste ihn in Höhe des Unterleibs. Keuchend blieb der Pfarrer auf dem Bauch liegen. Seine Kleidung war verschmiert. Nicht nur der Mantel, auch die dunkle Hose und sein Gesicht.
Daran klebten Blätter, Wasserlinsen oder was immer es auch sein mochte. Er spie Schmutz aus, der in seinem Mund klebte. Er kaute auf nassem Gras zwischen den Zähnen. Der Fall hatte auch seine positiven Seiten. Ihm wurde klar, daß er dem Ort des Schreckens entkommen war. Es gab keinen Blutaltar mehr in seiner Nähe. Er war im Freien, er lag in der Kälte, spürte den Wind, roch das Wasser.
Don Carmacho wußte, daß er nicht lange so liegenbleiben konnte.
Da holte er sich noch eine Erkältung.
Er stand mit den mühsamen Bewegungen eines alten Mannes auf. Auch sein Keuchen hörte sich unnormal an, das plötzlich von einem starken Hustenreiz abgelöst wurde.
Noch kniete er, wartete ab, bis der Anfall
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