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1050 - Die Nymphe und das Monster

1050 - Die Nymphe und das Monster

Titel: 1050 - Die Nymphe und das Monster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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vorbei war, änderte auch seine Haltung nicht und starrte stattdessen nach vorn. Das Ufer war zwar dicht, aber nicht hoch bewachsen. Er schaute locker über das Gras hinweg.
    Der Teich lag nicht ruhig da. Der Wind sorgte für kleine Wellen auf der Oberfläche. Das war normal. Bei Vollmond hätte sich auch das bleiche Licht darauf gespiegelt, nur war der Mond zu dieser Zeit nicht zu sehen. Selbst die Sterne schienen sich weiter zurückgezogen zu haben.
    Es blieb nur das Wasser.
    Und der Strudel in der Mitte!
    Der Pfarrer sah ihn, als er sich erhob. Seine Augen weiteten sich.
    Er wollte einfach nicht glauben, was in der geringen Tiefe des Teichs passierte.
    Wasser, das sich bewegte, als wäre es von einer fremden Kraft geleitet worden. Es drehte sich immer schneller und bildete plötzlich einen Trichter.
    Das war schon ungewöhnlich genug, aber der Pfarrer erlebte noch weitere Dinge, die nicht in seinen Kopf wollten. Entgegen der Saugkraft des Strudels schob sich etwas in die Höhe. Es verließ die Tiefe. Es war nicht genau zu erkennen, aber es schien aus drei Teilen zu bestehen, die sich immer höher drehten.
    »Nein, nein, nur das nicht«, ächzte der Pfarrer und schüttelte den Kopf.
    Er wollte wegrennen. Das war nicht möglich. Auf den Seiten des Strudels schimmerte ein silbriger Schein, als wäre genau in diesem Moment der Mond am Himmel erschienen.
    Stimmen lockten den Mann, säuselnd und singend. Die Stimmen geheimnisvoller Sirenen.
    Don Carmacho hob die Schultern an. Zuerst das Blut auf dem Altar. Nun dieser Gesang. Er mochte ihn, er war so herrlich. Zugleich sünd- und sirenenhaft.
    Don Carmacho blieb nicht mehr stehen. Er ging auch nicht zurück. Sein Weg war jetzt ein anderer.
    Er führte ihn in das kalte Wasser des Teichs und in die unmittelbare Nähe des Gesangs…
    ***
    Haselnußbraune Augen schauten mich an. Die Sommersprossen in Grace Felders Gesicht waren etwas verblaßt, vielleicht auch überschminkt, aber die netten Grübchen in den Wangen, die kleine Nase und der liebliche Mund waren die gleichen geblieben, obwohl ich Grace seit gut einem Jahr nicht mehr gesehen hatte.
    Sie trug einen roten Rollkragenpullover und dazu eine schwarze Hose. Das Haar hatte sie coloriert. Die rötliche Farbe jedenfalls war für mich neu. Sie sah schick aus. Anders als in Paxton, dem Ort, in dem ich sie kennengelernt hatte. [1]
    »Jetzt bist du also in London«, stellte ich fest. »Toll, Grace, ich freue mich.«
    »Ich auch, John.«
    »Außerdem hattest du es mir damals versprochen. Erinnerst du dich daran?«
    »Ja, das schon«, gab sie zu und schüttelte den Kopf. »Himmel du hast ›damals‹ gesagt. Wenn ich das höre, komme ich mir alt vor. Es liegt ungefähr ein Jahr zurück.«
    »Stimmt.«
    Ihr Blick erhielt etwas Nachdenkliches und Verlorenes zugleich.
    »Himmel, was ist in der Zwischenzeit nicht alles passiert! Die Zeit ist einfach weggerast.«
    »Das kannst du mal laut sagen«, erklärte ich. »Wie ist es dir denn ergangen, Grace? Bist du wieder nach Cardiff zurück, wie du damals angedeutet hast?«
    »Ja und nein«, erwiderte sie gedehnt. »Ich habe dort noch eine Wohnung. Nur haben mich die Ereignisse der Vergangenheit einfach nicht losgelassen. Sie sind wie Bilder, die immer wieder hochsteigen und mich in meinen Träumen verfolgen. Es ist schlimm gewesen in Paxton. Besonders das, was mit meinem Vater geschah, von dem ich, du wirst es nicht glauben, noch einen Geldbetrag geerbt habe, der mich bei sparsamer Lebensweise relativ unabhängig macht. Ich weiß nicht, woher mein Vater das Geld hatte, es steht mir zu.«
    »Sicher, Grace, du brauchst dir doch keine Vorwürfe zu machen. Ich bitte dich.«
    »Mein Vater ist schlimm gewesen, nicht?«
    Ich wiegte den Kopf. »Das kann man so nicht sagen. Ob er selbst schlimm gewesen ist, weiß ich nicht. Er ist in die Sache mit den verlorenen Kindern hineingeraten, was ja auch in der Vergangenheit begründet lag. Da kam er dann aus eigener Kraft nicht mehr raus. Er lebt nicht mehr. Wir sollten ihm nichts Schlechtes nachsagen.«
    »Obwohl er ein Kirchenmann gewesen ist. Ich bin seine Tochter.«
    »Aber du hast mit der Vergangenheit gebrochen, und nur darauf kommt es an, Grace.«
    »Stimmt auch wieder.« Grace hob ihr Glas an. Auf dem Mineralwasser schaukelte eine Zitronenscheibe. Sie trank langsam und blickte versonnen an mir vorbei.
    Wir hatten uns in einem kleinen Lokal in einer Einkaufsgalerie getroffen. Hier war es warm und gemütlich, und draußen knackte der Frost. Es

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