1054 - Die Leibwächterin
mich nicht mehr müde. Zwar durchschossen mich keine Adrenalinstöße, aber ich war schon gespannt.
Die Schrift war relativ blaß, aber gut zu lesen. Erst laß ich stumm, dann halblaut, weil Suko ebenfalls wissen wollte, welche Nachricht mich erreicht hatte.
»Ich habe den Job bekommen, John. Es verdichtet sich einiges. Werde mich bei dir melden. Muß vorsichtig sein, Karina G.«
Suko sagte nichts. Er runzelte nur die Stirn. »Karina G.? Kennst du eine derartige Person?«
»Nein, eigentlich…« Ich ließ den Rest des Satzes unausgesprochen und dachte bereits scharf nach. Zwar schnickte ich einige Male mit den Fingern, aber Suko wußte, wann er mich in Ruhe lassen mußte und stellte auch keine Fragen. »Da war etwas«, sagte ich leise. »Ich weiß, daß ich diese Karina G. kenne.«
»Ich nicht.«
»Nein.«
Er nahm es auf die lockere Schulter. »Wäre ja noch schöner, wenn ich all deine Liebschaften…«
»Hör auf. Das ist alles gewesen, nur keine Liebschaft. Außerdem deutet der Text darauf nun wirklich nicht hin. Der liest sich, als hätte die Schreiberin unter großem Druck gestanden. Jemand, der in einer Klemme steckt.«
»Genau, John. Eine gewisse Karina G. Aber G. wie… wie …«
Da fiel bei mir das Geldstück. »Grischin«, sagte ich plötzlich und klatschte in die Hände. »Das ist es doch, Suko. Das ist die Lösung.«
Ich schnickte und rieb meine Hände. »Wunderbar. Karina Grischin. Jetzt habe ich es.«
Suko nickte mir zu. »Du wirst es nicht glauben, aber selbst mir sagt der Name jetzt etwas. Hast du diese Dame nicht getroffen? Zwar nicht hier in London, sondern bei deinem Kurztrip zu Wladimir Golenkow?«
»Genau. Tolles Gedächtnis. Ich war in St. Petersburg. Ich habe sie mir angeschaut. Ich habe erlebt, wie gut sie ist. Ein weiblicher Bodyguard. Perfekt ausgebildet. So gut wie ein Mann. Vielleicht sogar einen Tick besser.«
»Und sie ist in London.«
»Klar, klar…«, murmelte ich. »Nicht nur in London. Sie hat hier einen Job angenommen. Bodyguard bei Costello. Das war damals schon klar gewesen. Deshalb hat mich Wladimir auch angerufen und mich mit Karina Grischin bekannt gemacht. Ich hatte es nur vergessen. Ist verständlich, denn wir waren in den letzten Wochen ziemlich abgelenkt. Aber jetzt haben wir es schriftlich.«
»Was denn?«
»Wahrscheinlich brennt die Hütte.«
Suko hob die Schultern. Er wollte etwas sagen und mußte mir ansehen, daß ich bereits nach dem Hörer griff und die Nummer des Portiers unten anwählte.
Der Mann meldete sich sofort. »Sinclair hier«, sagte ich. »Es geht um die Nachricht, die Sie mir gaben. Besser formuliert. Mich interessiert, wer die Nachricht an Sie überbracht hat. Daß es eine Frau war, haben Sie bereits gesagt. Wie sah die Frau aus? Können Sie sich daran noch erinnern?«
»Ja, kann ich, Mr. Sinclair.«
»Wunderbar. Ich höre.«
»Sie war nicht zu übersehen. Ziemlich korpulent. Wirkte etwas ärmlich, war aber nett.«
»Ihr Alter?«
»Schwer zu schätzen.«
»Ungefähr, bitte.«
»Eher jenseits als diesseits der Fünfzig.«
Ich schluckte. Damit hatte sich bei mir eine ferne Hoffnung zerschlagen. Denn irgendwo war ich davon ausgegangen, daß Karina Grischin die Nachricht persönlich abgegeben hatte. Andererseits hätte es für sie auch zu gefährlich sein können.
Ich stellte noch einige Fragen, ohne allerdings Antworten zu erhalten, die mich weiterbrachten. Der Kollege hatte so gut wie nicht mit der Botin gesprochen.
Ich bedankte mich noch einmal bei ihm, legte auf und schaute Suko über die sich gegenüberstehenden Schreibtische hinweg an.
»So, jetzt bist du an der Reihe.«
»Warum ich?«
»Ich will wissen, was du denkst.«
Er grinste dabei. »Es war gut, daß du die Nachricht erhalten hast. Sie hat dich aus deiner Montagslethargie gerissen. Wir können nichts anderes tun, als darauf zu warten, daß sie sich meldet. Deine Telefonnummer wird sie ja haben.«
»Stimmt.« Ich war ziemlich nachdenklich geworden. »Daß sie uns die Nachricht auf diese Art und Weise hat zukommen lassen, läßt darauf schließen, daß sie sich kontrolliert fühlt. Sie kann nicht so, wie sie gerne will. Nicht so gehen, sich frei bewegen. Sie muß einfach unter Kontrolle der Mafia stehen, die ein großes Ding plant, das wiederum uns angeht, sonst hätte sie sich nicht an mich gewandt.«
»Uns angeht«, wiederholte Suko. »Wie meinst du das genau? Tippst du auf eine Renaissance bei Costello? Ist der Zeitpunkt wieder da, an dem er sich mit den
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