1060 - Die Mystikerin
zumindest. Ich weiß nicht, wie ihr darüber denkt, ich aber finde, daß wir uns mit dieser Zeit und den Mystikerinnen, die dort gelebt haben, beschäftigen sollten.«
»Da gab es einige«, sagte ich.
Jane ließ nicht locker. »Trotzdem möchte ich noch einmal auf den Namen zurückkommen, auch wenn es euch nervt. Ansonsten können wir Sarah Goldyn fragen. Die hat…«
»Das brauchen wir nicht«, sagte Glenda laut genug, damit wir es alle hörten.
Plötzlich wurde es still. Alle schauten Glenda gespannt an. Zunächst wiederholte sie sehr langsam und deutlich den Namen Hildegarda. Danach kam sie auf das Mittelalter zu sprechen und damit auf eine bedeutende Frau, die damals gelebt hatte und als erste deutsche Mystikerin bezeichnet wurde. »Es ist Hildegard von Bingen…«
Wir sagten nichts. Auch jetzt blieben wir stumm und hingen nur unseren Gedanken nach.
»Das könnte es sein«, flüsterte Jane.
Sir James nickte.
Suko hielt sich zurück. Die europäische Historie war nicht so sehr sein Fall.
Ich meldete mich. »Hildegard von Bingen«, sagte ich und nickte dabei in die Runde. »Sie war tatsächlich eine berühmte Frau. Eine Mystikerin mit Visionen, die ein Papst sogar als Prophetin anerkannte.«
»Es war Papst Eugen III.«, sagte Glenda.
»Du kennst dich gut aus.«
»Ich habe einiges über sie gelesen. Das nächste Jahr ist so etwas wie ein Hildegard-von-Bingen-Jahr. Sie starb 1179. Praktisch vor Jahren. Das ist so etwas wie ein Jubiläum. Ihren ersten Teil der Visionen hat sie unter dem Titel ›Wisse die Wege‹ geschrieben. Das hat den Papst so beeindruckt. Sie war auch dem Volke sehr nahe, denn sie hat allgemeinverständlich geschrieben. Außerdem waren ihre Schriften immer reichlich bebildert. Sie hat den göttlichen Auftrag erhalten, ihre Eingebungen niederzuschreiben. Da war sie noch recht jung, und sie hat sich von diesem Weg nie abbringen lassen. Für sie war die Seele immer sehr wichtig. Sie beschrieb dann den Aufstieg der Seele zur Vereinigung mit dem Göttlichen. Hildegard war eine wirklich fromme Frau. Sie hat auch als Leiterin eines Benediktiner-Klosters nie den Kontakt zum Volk verloren. Sie reiste durch Deutschland und Lothringen, predigte immer wieder gegen die Verweltlichung der Geistlichkeit und gegen die sinkende Moral. Sie stand in brieflichem Kontakt mit Kaiser Barbarossa und wurde als Ratgeberin von Fürsten und Königen anerkannt.« Glenda hob die Schultern. »Das ist in Kürze das, was ich euch sagen kann.«
Wir atmeten durch. Ich lächelte Glenda an. »Das war schon einiges, meine Liebe.«
»Da sind wir einen Schritt weiter«, meinte Jane.
Sir James hob die Hand. »Vorausgesetzt, Miß Perkins hat recht.«
»Ich glaube daran!« meldete sich Tanner. »Ich habe sie gesehen. Ich habe sie gehört. Diese Hildegarda hat davon gesprochen, daß sie im Namen einer anderen Person handelt und etwas in ihrem Sinne weiterführen will. Glenda Perkins berichtete uns, daß Hildegard von Bingen gegen die wachsende Unmoral gekämpft hat. Was hat denn Hildegarda getan? Sie stemmte sich auch gegen die Unmoral an. Zumindest Ginny Cramer war eine Prostituierte. Wie es bei diese Amy war…«
»Sie ist auch auf den Strich gegangen«, erklärte Jane.
»Da schließt sich fast der Kreis«, sagte Tanner. »Hildegarda möchte die Menschen aus dem Sumpf der Unmoral hervorholen. So sehe ich die Dinge, und ich bezweifle, daß ich damit unbedingt falsch liege.«
Ich hatte eine andere Frage. Sie galt Glenda Perkins, unserer Fachfrau in diesem Fall. »Wo starb sie?«
»In dem von ihr gegründeten Kloster Rupertsberg in Bingen. Das liegt am Rhein, südlich von Köln und Bonn oder Koblenz.«
»Suchten wir nicht ein Kloster?« fragte Jane.
Ich stimmte zu. Schwächte aber auch ab. »Ob es allerdings das Kloster ist, weiß niemand.« Mein Blick fiel auf die anderen, die auf ihren Plätzen saßen und nicht recht wußten, was sie sagen sollten.
»Außerdem weiß ich nicht, ob das Kloster noch existiert. Himmel, da sind Jahrhunderte vergangen. Es hat schwere Stürme gegeben. Die Geschichte ist über Europa wie ein Orkan hinweggebraust. So genau möchte ich mich da nicht festlegen.«
»Da kann man ja nachforschen«, sagte Sir James und fügte hinzu:
»Ich plädiere trotzdem für Deutschland. Wenn sich diese Hildegarda so stark auf die Mystikerin beruft, wird sie auch auf deren Spuren wandeln.«
Jane Collins erhob ihren Einwand. »Ich frage mich nur, was sie dann hier in London gewollt hat?«
Der Superintendent
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