1062 - Und abends kommt der böse Mann
wir nicht. Möglicherweise wollte er auf seine Art und Weise dokumentieren, daß die drei toten Kinder ihm noch immer gehörten, auch wenn sie unter der Erde lagen. Möglicherweise auch deren Seelen, doch das war alles noch sehr fraglich.
Die Pistolen ließen wir stecken. Ich holte mein Kreuz hervor und bewegte mich dabei sehr langsam, denn ich wollte den Kinderschreck nicht aus den Augen lassen.
Während er hin und her tanzte, sprach er uns an. Mit einer hellen, den Kindern nachgeäfften Stimme, die zwar quäkend klang, aber zu verstehen war.
»Erst eins, dann zwei, dann drei - dann hole ich die anderen herbei…«
Ein schlichter Reim, doch zugleich mit einer schrecklichen Wahrheit gefüllt.
Immer wieder hörten wir den Satz, manchmal unterbrochen von einem gackernden Lachen. Das Gefühl einer Bedrohung kam zumindest bei mir nicht auf. Es war mehr eine makabre Ablenkung und möglicherweise eine Warnung für die Zukunft.
Ich hatte mein Kreuz freigelegt, wobei ich es allerdings noch in der Faust hielt.
Warten…
Sekunden noch!
Dann ging ich vor.
Auch jetzt bemühte ich mich, nicht über die Gräber zu gehen. Dazwischen gab es Platz. Ich brauchte nur zwei, drei Schritte, um den Kinderschreck zu erreichen. Zugleich hatte ich die Faust geöffnet.
Das Kreuz lag jetzt an meiner Handfläche. Mit dem Daumen hielt ich es fest. Monty sollte es ganz sehen.
Sein Sprechgesang endete oder mündete in einem wütenden Kreischen. Ich wußte nicht, ob es Angst war, die ihn in die Höhe trieb. Ich war auch noch nicht dazu gekommen, die Formel zu sprechen, als Monty plötzlich verschwand.
Es ging alles sehr schnell. Er drehte sich. Er zuckte dabei. Er tanzte hoch und zurück, während ich die Erwärmung des Metalls sehr deutlich wahrnahm.
Noch einmal sahen wir in die Höhe der Birken. Er hatte sich in das Astwerk hineingewühlt. Ziemlich deutlich malte sich sein häßlicher Totenschädel vor dem frischen Grün der Blätter ab, und er gab uns auch eine letzte Botschaft mit auf den Weg.
»Auf dem großen Fest hole ich mir den Rest…«
Danach hörten wir nichts mehr. Wir sahen ihn auch nicht. Er hatte sich zurückgezogen und war dabei eingetaucht in eine andere Sphäre, die ihm Luzifer überlassen hatte.
Vorbei…
Wir waren wieder allein. Auch ich konnte nichts mehr reißen.
Hinter den Gräbern war ich stehengeblieben. Dort lief ein schmaler Pfad entlang, der mehr einer Furche glich. Hier hatte Monty gelauert. Sogar seine Fußabdrücke waren noch zu sehen. Ihn selbst bekamen wir nicht mehr zu Gesicht.
Ich drehte mich um und ging zu Suko zurück, der ungewöhnlich passiv gewesen war. Auch jetzt stand er da und starrte auf den Boden. Ich mußte ihn erst ansprechen, um ihn aus seinem Zustand hervorzuholen.
»He, was hast du denn?«
Suko hielt die Augen geschlossen, als er den Kopf anhob. »Was ich habe?« murmelte er. »Eigentlich müßte ich mich für mein passives Verhalten entschuldigen, John…«
»Unsinn. Wie oft habe ich nicht richtig gehandelt.«
»Das meine ich nicht einmal. Es war alles so anders, John, und das macht mir Angst.«
Ich verstand ihn noch nicht und drängte auf eine Erklärung. »Sag doch, was los ist.«
»Ja, ja, sicher.« Er räusperte sich. »Es ist nicht einfach, obwohl die ganze Sache ganz simpel klingt. Die ganze Sache ist die. Ich konnte nicht aktiv sein. Ich fühlte mich wie in einer Fessel. Ich war eingeschnürt.« Er hob die Schultern und suchte nach einer Erklärung.
»John, ich wollte etwas tun, aber ich kam nicht dazu. Ich hatte tatsächlich eine Blockade. Die fing an, als ich ihn sah und vor allen Dingen einen Blick in die verdammten Augen warf. Hinein in das intensive Blau. Da kochte alles wieder in mir hoch. Ich dachte an meine Hilflosigkeit. Verbunden mit seinem intensiven Blick bin ich wirklich zur Hilflosigkeit verdammt worden.« Er zuckte die Achseln. »Tut mir leid, aber mehr kann ich dir nicht sagen.«
»Verstehe ich.«
»Du hast ihn nicht verfolgt.«
»Nein, weil ich weiß, daß es keinen Sinn hat. Er hat sich uns gezeigt. Er hat uns klargemacht, wie mächtig er letztendlich ist. Und damit haben wir uns abzufinden.«
»Wir tanzen nach seiner Pfeife. Zumindest ich, denn es ist sein Spiel, John. Er läßt uns laufen. Er hält uns an der Leine. Wir sind die, die immer hinterherrennen.«
»Alles richtig«, sagte ich. »Es wird sich ändern!«
»Nicht bei mir!«
Ich fuhr herum. »Was? Verdammt noch mal, was redest du? Oder was redest du dir ein, Suko?«
Er trat etwas
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