1063 - Die Nacht vor Walpurgis
stehen und nur reden. Lassen Sie uns runtergehen.«
White schaute mich für einen Moment an. Er schien zu überlegen, ob er mir zustimmen sollte oder nicht. Dann nickte er heftig.
»Ja, kommen Sie, aber ich gehe vor. Und achten Sie auf die Holztreppe, sie ist nicht mehr die jüngste.«
Ich winkte ab. »Machen Sie sich mal keine Sorgen. Ich bin es gewohnt, über alte Treppen zu gehen. Das gehört irgendwie zu meinem Job. Alte Keller dienen auch immer wieder als gute Verstecke.«
Auf meine letzte Bemerkung erhielt ich einen mißtrauischen und zugleich erschreckten Blick als Antwort. Danach drehte sich Kevin White hastig um und schritt auf die Kellertür zu.
In mir keimte immer stärker der Verdacht, daß hier einiges nicht mit rechten Dingen zuging. White bewahrte Geheimnisse, die er vor mir verstecken wollte. Ich fragte mich, warum er uns geholt hatte, wenn mein Verdacht zutraf.
Gebückt stieg er die Stufen herab. Auch ich zog den Kopf ein. Im Kellerflur brannte Licht. Auch ein Anzeichen darauf, daß jemand unten gewesen war.
Jane Collins?
Eigentlich gab es keine andere Möglichkeit. Aber was, zum Teufel, hatte sie in diesem verdammten Keller zu suchen gehabt? War sie auf eine Spur gestoßen? War ihr irgend etwas verdächtig erschienen? Mir bisher nicht, abgesehen von der Tatsache, daß sich Jane nicht meldete. Sie mußte uns einfach gehört haben, wenn sie hier unten war.
Vor der Treppe blieb Kevin White stehen. Und wieder schaute er sich behutsam um. In seinem eigenen Haus wirkte er wie ein Fremder. Er wollte herausfinden, ob sich etwas verändert hatte. Ich stand so günstig zu ihm, daß ich sein Gesicht beobachten konnte. In der Gewalt hatte er sich nicht, denn er schrak zusammen, als sein Blick auf eine Kellertür fiel, die offenstand.
»Da ist jemand gewesen. Da – in diesem Keller.«
»Ist das schlimm?«
Er zuckte nur mit den Schultern.
Als ich mich in Bewegung setzte, hielt er mich fest. »Nein, John, lassen Sie mich zuerst hinein.«
»Okay, wie Sie wollen. Es ist Ihr Haus.«
»Ja«, murmelte er, »das ist es.«
Hätte er eine Pistole gehabt, er hätte sie sicherlich gezogen, denn so vorsichtig und wachsam näherte er sich dem eigenen Kellerverlies. Er schob die Holztür noch ein Stück weiter auf.
Ich war ziemlich dicht hinter ihm geblieben, weil ich seine Reaktion erleben wollte. Mit einem Kommentar hielt sich White zurück. Er stand wie sprungbereit auf der Schwelle und ließ seinen Blick über das Gerümpel hinwegstreifen, das er in diesem Raum aufbewahrte.
Kisten, Kartons. Alte Stoffe und auch Kleidungsstücke entdeckte ich in einer Ecke.
Und noch etwas.
Es war ein Spiegel!
Er stand ziemlich weit von der Tür entfernt und lehnte schräg an der Wand. Eigentlich war er nichts Besonderes, mal abgesehen von seinem kunstvoll geschnitzten Rahmen, der auf ein gewisses Alter hinwies. Genau dieser Spiegel erregte auch Whites Interesse.
Mich hatte er vergessen. In der feuchten Kellerluft kam er sich wie allein vor. Er ging auf den Spiegel zu und bewegte sich dabei nur mit kleinen Schritten, so wie er sich benahm, mußte der Spiegel verdammt wichtig für ihn sein.
Aber warum? Und was hatte er mit Jane Collins zu tun, von der wir noch immer nichts entdeckt hatten, so daß ich mir allmählich Sorgen um sie machte?
Andererseits wußte ich, daß Spiegel etwas Besonderes sein konnten. Da sprachen die Erfahrungen für mich, denn mehr als einmal hatte ich diese Gegenstände schon als Eintritt in eine fremde Welt erlebt. Es war durchaus möglich, daß ich in diesem Keller einen derartigen Spiegel vor mir sah.
Den Gedanken behielt ich für mich. Es gab bestimmt noch genügend Gelegenheiten, Kevin White darauf anzusprechen. Zunächst einmal blieb er vor dem Spiegel stehen, starrte in an und hatte sich dabei gebückt. Er wirkte wie jemand, der seinen Blick auf einen bestimmten Punkt fixiert hatte, sich allerdings noch nicht sicher war, ob er damit richtig lag oder nicht. Jedenfalls war er nervös geworden. Das heftige Atmen kannte ich vom Hügel her, auch dort hatte er sich einige Male auf diese seltsame Art und Weise verändert.
Ich hatte für meinen Geschmack lange genug gewartet und wollte endlich wissen, was mit dem Spiegel los war. Er war sicherlich nicht neu und Kevin sah ihn auch nicht zum erstenmal, trotzdem stand er hypnotisiert davor.
Der Kellerboden war nicht eben sauber. Es knirschte auch unter meinen Sohlen, als ich auf den Mann zuging und neben ihm stehenblieb. Erst dann drehte er den
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