1068 - Der Höllenstar
umkreiste den Ort. Seine scharfen Augen sahen die Menschen auf den schmalen Straßen.
Sie bewegten sich auch vor den Häusern. Der sah die Fremden, die den Tod des Pfarrers und der jungen Frau untersuchten, aber niemand schaute hoch. Es war einfach nicht interessant genug, was sich über ihnen abspielte. Für den Himmel hatte keiner einen Blick.
Wie klein sie alle waren. Wie klein und schwach. Es gab nur einen, der genug Stärke zeigte. Und das war er, Ryback, denn er setzte durch das Eingreifen des Teufels die nötigen Akzente. Er war zum Höllenstar geworden.
Gier keimte in ihm hoch. Sich herunterzustürzen und mit dem Dreizack auf die Opfer einzustechen.
Dem Teufel Seelen verschaffen, ihm so die Dankbarkeit zu zeigen.
Er ließ es bleiben.
Schraubte sich wieder höher, jetzt gegen den Wind, der wie mit unzähligen Händen über seinen nackten Körper hinwegstrich. Ryback fror nicht. Er hatte das Feuer durchschritten und das Eis ebenfalls. Nichts konnte ihm noch etwas anhaben. Einer wie er war einfach unbesiegbar.
Der Höllenstar zog seine Kreise nicht mehr so eng. Er hatte sich jetzt an seinen neuen Zustand gewöhnt. Ihm kam es vor, als wäre er schon immer geflogen. Er beherrschte alles perfekt. Er wußte, wann er die Kraft des Windes ausnutzen und sich tragen lassen konnte, und er wußte, wann er den eigenen Einsatz zeigen mußte. Wie ein übergroßer Vogel, der sich über Jahre hinweg versteckt gehalten hatte.
Wieder geriet die Kirche in sein Blickfeld. Vielmehr der Turm, das Wahrzeichen. Er sollte den Gläubigen den Weg zeigen oder sie durch das Geläut der Glocke anlocken.
Er haßte die Kirche.
Er hatte sie noch nie gemocht. Jetzt war es viel schlimmer geworden. Der Teufel selbst traute sich nicht hinein. Es war ein Ort, der ihm Schmerzen bereitete, der ihn stets an seine große Niederlage erinnerte, und genau das hatte sich auch auf Ryback vererbt. Nie würde er einen Fuß in die Kirche setzen.
Der Haß blieb. Wie auch der Wille zur Zerstörung. Er wollte die Gotteshäuser nicht. Sie sollten vom Erdboden verschwinden. Sie paßten nicht in seine Welt.
Der Turm lief in eine Spitze aus. Auf ihr stand der Wetterhahn aus schwerem Eisen. Kein Kreuz, das Ryback hätte abstoßen können, und der Haß loderte noch stärker hoch. Sein rechter Arm zuckte.
Es war wie eine Aufforderung, denn die dazugehörige Hand umklammerte den Dreizack.
Für ihn war es eine Waffe aus der Hölle. Extra für ihn geschaffen, damit er sie auch einsetzen konnte.
Der Kirchturm kam ihm da recht als Testobjekt. Noch etwas mehr an Höhe gewinnen, den richtigen Winkel anvisieren, um den ersten Angriff zu starten.
Ryback brauchte einen Gegenstand, um seine Stärke beweisen zu können. Der Teufel hatte ihm die nötige Kraft gegeben, und die wollte er nicht für sich behalten.
Er flog auf ihn zu. Nicht schnell, mehr ein Schweben, aber durchaus zielsicher.
Ausholen. Den Griff des Dreizacks fest umklammern. Den Blick fest auf das Ziel gerichtet. Er kümmerte sich nicht um den Flugwind, der an seinem Gesicht entlangwischte, für ihn war es wichtig, das Werk seiner Feinde anzugreifen und zu zerstören.
Ausgeholt hatte er schon.
Jetzt wuchtete er den Dreizack nach vorn. Im Stein seines Hauses war er steckengeblieben, so hoffte Ryback, daß dies auch beim Kirchturm der Fall war.
Die Waffe traf!
Ja, sie bohrte sich hinein in den oberen Teil des Gemäuers, und Rybacks Augen weiteten sich. Zugleich verzog sich sein Mund in die Breite. Ein wildes Lachen wehte daraus hervor, denn genau dort, wo der Dreizack das Gestein erwischt hatte, flackerte das Feuer hoch. Plötzlich waren die gierigen Flammen da. Sie schimmerten gelb, rot und sogar leicht grün. Der Griff des Dreizacks ragte aus ihnen hervor. Genau dort, wo er im Gestein des Turms steckte, blitzte es immer wieder auf, wie bei elektrischen Entladungen. Hier kämpften zwei unterschiedliche Kräfte gegeneinander, und Ryback jubelte innerlich auf, denn er sah, daß der Teufel gewann. Durch ihn erreichte er den Sieg über den Kirchturm, denn die Flammen fraßen sich weiter, sie loderten in die Höhe und bildeten so etwas wie eine Feuerkrone, auf die Ryback zuflog.
Er erwartete, die Hitze zu spüren, die gegen seinen nackten Körper fauchte. Nichts traf ihn. Das Feuer brannte, aber es war nicht heiß. Es war anders. Er erlebte zum erstenmal das Höllenfeuer und fühlte sich noch mehr als der große Sieger.
Nahezu gelassen und voll innerlicher Freude schwebte er auf seinen Dreizack zu.
Weitere Kostenlose Bücher