107 - Turm der Menschenmonster
hierherzubringen. Es ist eine schöne lange Fahrt. Reise durch den Nebelwald
... romantisch, ein bißchen unheimlich. Ausländer mögen das. Ich freß‘ ‘nen
Besen, wenn Sie keine Ausländerin sind. Sie sprechen zwar ein hervorragendes
Englisch, aber Sie stammen nicht von der Insel. Sie haben mehr Klasse.
Deutsche? Schwedin? Dänin? In der Richtung siedle ich Sie an... hab‘ ‘nen Blick
für sowas . .. Auf keinen Fall Engländerin! Die
Mädchen haben kein Feuer, sind alle zu brav. Kommt wahrscheinlich vom vielen Plumpuddingessen .. Er stoppte ab und fuhr an den rechten
Straßenrand. Wenn man sich anstrengte, konnte man im Licht der Scheinwerfer die
Kreuzung sehen. „Hundert Meter weiter links - ist es.“ „Dann los, fahren Sie
hin! Ich werde dort erwartet.“
Der Mann schüttelte sich und fuhr sich durch
sein widerborstiges Haar. „Wen wollen Sie dort treffen?“
„Ihr Gehabe gefällt mir schon die ganze Zeit
nicht. Aber jetzt werden Sie auch noch unverschämt! Ich bezahle Sie, weil Sie
mich hierhergefahren haben. Alles andere geht Sie nichts an!“
Er knipste das Licht im Wagen an. Morna
konnte in seine Augen sehen. Nein, betrunken sah er nicht aus. Es waren gute
Augen. Sie konnte sich auf ihre Menschenkenntnis verlassen.
„Ich meine es gut mit Ihnen, Miß. Ich will
nicht, daß Sie sich in irgendeine Gefahr begeben. Sie scheinen nicht zu wissen,
was das hier ist. Ich sagte es vorhin schon: es gab mal ein Brown Cottage, es
gibt keines mehr! Schon mindestens hundert Jahre nicht. Sie treffen dort
niemand - es sei denn, Sie hätten sich mit dem Satan persönlich verabredet!“
„Sie reden Unsinn!“ Mornas Stimme klang rauh.
„Ich hatte einen Anruf. Jemand will mit mir sprechen.
„Dann hat sich der Anrufer einen Scherz
erlaubt.“
Der Mann war völlig nüchtern. Jetzt, wo die
Dinge zur Sprache kamen, begriff sie sein Verhalten. Es mußte ihm vorgekommen
sein, eine Verrückte spazierenzufahren. Und er hatte den Spaß mitgemacht. Bis
hierher. Jetzt war es kein Spaß mehr.
„Fahren Sie mich hin! Ich will mich selbst
davon überzeugen.“
„Das geht nicht.“
„Was geht nicht?“
„Hinfahren. Ich tu‘ es nicht!“ „Warum?“
„Der Ort ist verflucht!“
„Wer sagt das?“
„Alle. Man respektiert die Geister, man läßt
sie in Frieden.“
„Dann warten Sie hier auf mich.“ Morna
Ulbrandson drückte die Tür nach außen.
„Sie wollen allein gehen?“
„Ja.“
Der Taxifahrer schluckte so heftig, daß sein
Adamsapfel unter den rötlichen Bartstoppeln aufgeregt auf und ab hüpfte.
Die Angst stand in seinen Augen zu lesen.
„Haben Sie Angst, daß ich nicht mehr
zurückkomme? “
Er sagte weder ja noch nein und starrte sie
nur an.
Morna Ulbrandson öffnete ihre Handtasche,
warf einen Blick auf den Taxameter und drückte dem Fahrer einen Schein mehr in
die Hand, als die Uhr anzeigte. „Sind Sie jetzt beruhigt?“
„Darum allein geht es mir nicht, Miß. Ich
mache mir Sorgen - um Sie. Warten Sie!“ rief er ihr nach, als sie nach draußen
sprang. „Ich fahre Sie hinüber. Aber nur bis zur Weggabelung. Keinen Meter
weiter. Von dort aus können Sie den Platz einsehen, wo das Brown Cottage einst
stand. Und dann fahren wir ganz schnell wieder weg, einverstanden?“
Sie nickte. „Einverstanden!“ Morna nahm
wieder neben ihm Platz. Diesmal lächelte er sie an. Es war kein Grinsen.
„Sie dürfen nicht denken, daß ich verrückt
bin .. sagte er unvermittelt, während er den Wagen
nach links steuerte. Der Boden, über den die Reifen gleich darauf rollten, war
aufgeweicht. Ein breiter Waldweg mündete auf die Fahrbahn. „Ein bißchen
abergläubisch vielleicht... aber sind wir das nicht alle? Die einen glauben an
das Horoskop, die anderen erschrecken, läuft ihnen eine schwarze Katze über den
Weg. Dritte wiederum lassen sich aus der Hand lesen oder gehen zur
Kartenlegerin. Hier in diesem Land aber, gibt es noch mehr: Die Menschen
glauben an Geister! Es sind nicht nur die düsteren Nebeltage und -nächte, die
den idealen Nährboden für Schauergeschichten abgeben. Das Land hat eine
geheimnisvolle Vergangenheit. Die Kelten, die es in den frühesten Tagen ihrer
Geschichte durchschritten, haben hier ihren Stempel hinterlassen. Die Opfer der
Druidenpriester dieses Volkes sind eine Tatsache. Die rätselhafte Religion, die
geheimnisvollen Götter, die sie verehrten ... das alles ist Teil unserer
Geschichte. Was unsere Väter und Vorväter einst hörten, haben sie an uns
weitergegeben. Die
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