1077 - Die Voodoo-Frau
Stuhl. Seine Brust wurde von der Lehne abgestützt, die Arme baumelten zu beiden Seiten des Körpers herab, und die Finger berührten den Boden.
Coco ging hin.
Sie knurrte leise. Ein hungriger Hund hätte sich kaum anders benommen. Bei ihr war nicht sicher, welcher Gattung sie angehörte. Ob Mensch oder Tier.
Sie packte den Toten. Für einen Moment hielt sie die Leiche noch fest, dann wuchtete sie den Körper herum. Er rutschte vom Stuhl ab und landete auf dem Boden.
Was danach folgte, war schrecklich, und Mr. Jobb wäre am liebsten verschwunden. Aber er mußte bleiben. Coco wollte es so. Und so drehte er sich nur zur Seite, um dem Anblick zu entgehen. Die Geräusche aber hörte er trotzdem, auch wenn er sich die Ohren zuhielt. Sie waren einfach zu laut.
Das Voodoo-Weib, das gleichzeitig ein Ghoul war, ließ sich nicht mehr stören…
***
Das Schiff, die Kabine, die Erinnerungen an den Mord auf Deck, die schreckliche Szene einer noch schrecklicheren Person, das alles hatte ich gesehen, ob ich wollte oder nicht. Ich steckte in einem Gefängnis, obwohl ich im Bett lag, aber es war der Mantel, dessen eine Seite mich fast vollständig bedeckte und dafür sorgte, daß die Vergangenheit lebendig wurde.
Da wirkte der Mantel wie ein moderner Computer, der die Informationen als Bilder in sich gespeichert hatte und sie nun am mich zurückgab.
Ich selbst hatte nicht reagiert. Auch mein Kreuz war nicht aktiv geworden. Zumindest nicht so stark, daß ich etwas von seiner Kraft gespürt hätte. Möglicherweise hatte es mich beschützt, das war auch alles gewesen.
Ich hatte bis zum allerletzten Augenblick zuschauen müssen, denn hier hatte Assunga das Sagen und nicht ich. Nur allmählich lösten sich die Bilder auf, so daß ich wieder hineinglitt in die Gegenwart, die ganz anders aussah.
Ich merkte, wie sich der Mantel von mir weghob und ich meine Bewegungsfreiheit zurückerlangte.
So drehte ich mich als erstes auf den Rücken, holte hastig Luft und hörte dann die Stimme meines Freundes Suko.
»Ist alles okay, John?«
Nach dieser Frage war mir klar, daß mich die Wirklichkeit endgültig zurückhatte.
»Im Moment schon.«
»Aber…?«
»Warte noch etwas.«
Neben mir bewegte sich Assunga. Sie wollte nicht mehr auf dem Bett liegen und stand auf. Suko machte ihr Platz. Er war noch immer offen bewaffnet und ließ Assunga nicht aus den Augen, während ich andere Sorgen hatte.
Noch hatte ich die Bilder nicht vergessen, und ich würde sie auch nicht so leicht vergessen, das stand fest. Es gab immer wieder Fälle, die mich tief berührten. Das hier war einer davon. Für mich war das Grauen unvorstellbar. Ich kam nicht damit zurecht, wie man so etwas überhaupt konnte, aber ich wußte auch, daß es Ghouls gab, und die lebten nun mal nach anderen Regeln.
Bei dieser Coco kam noch etwas hinzu. Sie wurde als Voodoo-Weib bezeichnet. Also mußte sie aus zwei Magien bestehen. Zumindest ging ich davon zunächst einmal aus, ohne eine bessere Erklärung finden zu können.
Ich richtete mich auf und blieb noch auf dem Bett sitzen, die Hände gegen den Kopf gedrückt. Was ich gesehen hatte, mußte ich erst verarbeiten, aber dazu war später noch Zeit. Ich hatte nicht vergessen, daß es eine Todfeindin gab, die in unserer Nähe stand.
Deshalb drehte ich meinen Kopf nach links. Assunga und Suko standen dicht beisammen. Fast wie zwei Freunde, aber sie waren das genaue Gegenteil dessen.
Ich sprach sie nicht an, aber sie wußte, daß mich Fragen quälten. Deshalb nickte sie auch. »Du hast alles gesehen?«
»Ja und behalten.« Nach dieser Antwort stand ich endgültig auf. »Es war verdammt hart.«
»Aber es ist vorbei.«
»Was heißt das?«
»So wie du sie gesehen hast, sieht sie nicht mehr aus. Sie hat es geschafft, ihr altes Aussehen zurückzuerlangen. Wenn du sie jetzt sehen würdest, kämst du aus dem Staunen nicht heraus. Sie ist eine exotische Schönheit geworden, denn sie hat es geschafft, ihre Jugend wieder zurückzuholen.«
»Durch die Toten, nicht?«
»So ist es.«
»Dann ist sie ein Ghoul.«
»Auch das stimmt.«
»Aber man nennt sie das Voodoo-Weib. Was von dem beiden ist denn nun richtig?«
»Es stimmt beides, John. Sie ist sowohl das eine wie auch das andere. Ghoul und lebende Tote. Ein schlimmes Geschöpf, das in Haiti erschaffen wurde.«
Das war so etwas wie eine Voodoo-Insel. Dort lebte dieser Zauber noch in all seinen Facetten. Ich hatte des öfteren damit zu tun gehabt, besonders mit den Folgen, wenn die
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