1083 - Das Mondschein-Monster
atmen. Wieder schlug ihr Herz so schnell. Auf der Stirn lag ein dünner Schweißfilm, obgleich es in der Kammer nicht unbedingt warm war.
In ihrem Bett wollte sie nicht länger bleiben. Es drängte sie danach, aufzustehen und einige Schritte zu gehen. Das Licht brannte noch immer. So konnte sie erkennen, wie schmutzig ihre Füße waren.
Eine Folge des Waldbodens.
Tricia wußte, was mit ihr geschehen war. Sie erinnerte sich an alles, auch an ihre Angst. Die jedoch war verschwunden, als sich das Mondschein-Monster, dieser Riese, näher mit ihr beschäftigt hatte.
Sie war keine Feindin mehr, auch kein Opfer. Er hatte sie geholt und in ihren Bann gezogen.
Das war gut so.
Eine innere Sicherheit hatte sie überkommen. Sie gab sich einen Ruck und stand auf.
Kein Schwindel packte sie. Tricia blieb vor dem Bett stehen. Sie drehte den Kopf und wußte schon bei der ersten Bewegung, was sie suchte.
Es war der Spiegel.
Zur Zimmereinrichtung gehörte er nicht. Sie hatte ihn sich selbst gekauft und an der inneren Türseite des schmalen Spinds befestigt.
Wie immer knarrte die Tür in den schlecht geölten und leicht rostigen Angeln. Behutsam drehte sich Tricia dem Spiegel entgegen. Er hing nicht genau in Augenhöhe, und sie mußte sich schon etwas in die Knie drücken, um ihr Gesicht in der Fläche sehen zu können.
Ja, es malte sich ab.
Alles, wenn auch nicht so scharf.
Keine Veränderung, das stellte sie beruhigt fest. Aber sie hielt die Augen noch nicht weit genug offen. Das änderte Tricia Todd schlagartig.
Sie sah sich.
Sie sah ihre Augen.
Und sie sah das Licht!
Ihr Mund verzerrte sich für einen Augenblick. Sie holte überrascht Luft.
Das waren nicht mehr die alten Augen.
Das waren die neuen.
Licht erfüllt. Ohne Pupille, ohne Iris. Das waren zwei Lichter, zwei Laternen, in denen sich das Licht eines so fremden Mondes festgesetzt hatte.
Der Schock dauerte nicht lange. Oder war erst gar nicht groß eingetreten. Freude stieg in ihr auf. Es war ein gewaltiger Überschwang der Gefühle, von dem sie sich am liebsten weg und in einen Tanz hineintragen lassen hätte.
Endlich war sie wer. Endlich gehörte sie dazu. Jemand anderer hatte sie gezeichnet und ihr sein Mal aufgedrückt.
Tief atmete sie durch. Das Gesicht war noch immer ihres, obwohl es durch die veränderten Augen wirkte, als wäre es mit einer dünnen Maske bedeckt. Die Haut, die Stirn, die Nase, der Mund - alles war gleich geblieben. Die Hände rutschten vorn durch einen Spalt im Kleid und glitten tastend über den nackten Körper hinweg.
Auch dort spürte sie keine Veränderung. Nach wie vor war die Haut so wunderbar glatt und auch weich.
Ein seufzender Atemstoß verließ ihren Mund. Die Angst hatte sich in Spannung und Freude verwandelt. Eine andere Zukunft lag vor ihr, eine stärkere, davon ging sie aus.
Es klopfte.
Tricia drehte sich.
Giselle hatte nicht erst abgewartet, bis sie hineingebeten wurde. Sie öffnete die Tür mit einem Ruck und stand plötzlich auf der Schwelle. »Willkommen bei uns, meine Freundin«, sagte sie…
***
Tricia konnte nicht antworten. Sie stand noch immer unter dem Zwang ihrer Gefühle. Erst als Giselle die Tür zugedrückt und sich gesetzt hatte, kam sie wieder zu sich.
Sie nahm neben der Kollegin auf dem Bett Platz. Giselle hatte »gearbeitet«, was ihr nicht anzusehen war. Sie hatte sich frisch gemacht und roch nach teurem Parfüm.
»Wie geht es dir, meine Liebe?«
»Ich… ich… weiß nicht genau.«
Giselle legte ihre Hände auf Tricias Finger. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, denn was du erlebt hast, das haben wir alle hinter uns. Und es hat uns allen gutgetan. Du bist die letzte in diesem wunderbaren Reigen.«
»Kalik sagte, daß der Kreis geschlossen ist.«
»Ja, da hat er recht. Das stimmt genau. Er ist da, und wir sind es auch.«
Tricia wollte den Kopf drehen, um Giselle anzuschauen. Die blonde Frau bemerkte die Bewegung im Ansatz und drehte ihren Kopf ebenfalls. So schauten sich die beiden an, öffneten ihre Augen immer weiter, bis eine Grenze erreicht war, und genau jetzt trat dieses Phänomen des Aibon-Lichts auf.
Es schob sich von innen her in die geöffneten Augen hinein. Es »fraß« die Pupille einfach weg und blieb als starres, kaltes Licht in den Höhlen liegen.
»Ich sehe dich«, flüsterte Tricia.
»So soll es auch sein, das ist wunderbar, denn ich sehe dich auch. Wir sind etwas Besonderes. Wer uns zum erstenmal begegnet, wird das Licht nicht in unseren Augen sehen, weil
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