1088 - Killer in der Nacht
soll oder nicht. Die Zeit meines Schutzengels ist abgelaufen. Er hat mich verlassen. Ich bin wieder ein normaler Mensch und kann auch zu einer Beute für einen Vampir werden.«
Nach diesem Satz legte ich meine Hand auf ihren Unterarm. »Himmel, Estelle, daran sollten Sie nicht einmal denken. Tun Sie sich den Gefallen und verbannen Sie derartige Gedanken aus Ihrem Gehirn. Es bringt Sie nicht weiter und würde Sie nur stören.«
»Das ist leichter gesagt als getan, John.«
»Ja, ich weiß, aber darüber kommen Sie auch hinweg, Estelle. Wenn Sie trotzdem Probleme bekommen sollten, wir sind für Sie da.«
Jetzt verzauberte ein Lächeln ihr schmales Gesicht. »Ja, das weiß ich. Das ist auch so etwas wie Hoffnung und Antrieb. Wissen Sie, John, wenn Sie in meinem Job arbeiten, dann lernen Sie zwar viele Menschen kennen, aber Sie kennen die Leute nie richtig. Ich will da nichts nachreden, doch unsere Branche ist schon oberflächlich, denn wenn es darauf ankommt, steht man allein. Das genaue Gegenteil dessen habe ich bei Ihnen und auch bei den Conollys erlebt. Es sind wirklich Menschen, die mir Vertrauen einflößen. Wie Suko und Sie.«
»Schön, daß Sie das sagen.«
»Und es ist nicht einmal gelogen. Ich denke wirklich so. Damit hat mein Erlebnis mir irgendwie auch einen Vorteil gebracht, finde ich. Ohne Ihre Hilfe wäre ich wahrscheinlich ein Fall für den Seelenklempner geworden.«
»Keine Sorge, Estelle, Sie sind schon stark genug, um Ihr Leben zu meistern.«
»Das hoffe ich sehr.«
Der Wagen bog in eine Stichstraße ein. Alte Häuser hatte man hier abgerissen und zwei Blöcke mit Apartments aufgebaut, natürlich mit Blick auf den Hyde Park, was natürlich die Mietkosten in die Höhe trieb.
Die Wohnung lag im mittleren Haus. Es war beleuchtet, und vor der Tür stoppte der Fahrer.
»Sie kommen doch auf den berühmten Kaffee mit hoch, John?« fragte Estelle leise.
»Gern, den habe ich im Lokal nicht getrunken.«
»Ich freue mich.« Estelle stieg aus, und ich überreichte dem Fahrer das Geld. Von ihm erntete ich ein kurzes Nicken, dann fuhr er ab, kaum daß ich den Wagen verlassen hatte.
Estelle Crighton stand vor der Tür. Im hellen Licht wirkte sie wie ein schöner Weihnachtsengel, bei dem nur die lockigen Haare fehlten, denn sie hatte ihre glatt an den Seiten herabgeföhnt. Sie erwartete mich mit einem Lächeln, und ich sah, daß sie die Haustür bereits aufgeschlossen hatte und sie durch den hochgestellten Fuß offenhielt.
Ein neuer Bau, der auch innen gepflegt aussah. Keine Schmierereien an den Wänden. Hellgrüne Türen, die zum gedeckten Weiß des Fluranstrichs paßten.
Wir gingen auf den Fahrstuhl zu. Seine Tür schimmerte wie geschliffenes Aluminium. Estelle hängte sich bei mir ein und summte einen Schlager von Cher vor sich hin. Sie befand sich in einer Top-Laune, und ich dachte daran, daß dieser Abend auch für mich so schnell nicht enden würde. Wahrscheinlich würde es nicht beim Kaffee bleiben, da gab es noch andere Dinge, die ebenfalls heiß waren.
Im Fahrstuhl lehnte sich Estelle gegen die Wand und breitete ihre Arme aus. »Ich fühle mich zum erstenmal wieder gut, John. Es war einfach super.«
»Was meinen Sie?«
»Der Abend, der noch nicht beendet ist!« Sie hatte den letzten Satz wie ein Versprechen hinzugefügt.
»Und der Termin morgen?«
Sie winkte ab. »Vergessen Sie ihn. Der findet erst am Mittag statt. Und vergessen Sie auch Ihre Dämonen und Vampire, John.«
»Ich werde mich bemühen.«
Wir waren in der letzten Etage angelangt. Eine Tür führte zu einem Flur und in eine Atmosphäre, die auch mir gefiel.
Hier war es still. Hinter den Wohnungstüren hielten sich die Mieter zurück. Wir hörten keine laute Musik, keine schreienden Stimmen, da gab es nichts, was uns störte.
Wir mußten uns nach links wenden. Der Flur war recht lang und kerzengerade. Die Türen der Wohnungen lagen sich nicht direkt gegenüber, sondern etwas versetzt. Warme Farben, ein Boden aus Laminat, auf dem sich das Lampenlicht spiegelte.
Es war eine heile Wohnwelt für sich, wenn da nicht etwas gewesen wäre, was mich störte.
Estelle hatte nach meiner Hand fassen wollen, die ich ihr entzog, denn auf dem Boden lag etwas Dunkles. Wäre das Licht heller gewesen hätte ich ihn schon jetzt identifizieren können. Da es jedoch recht dunkel war, mußten wir näher an ihn heran, um mehr zu sehen. Ich ging schneller, und auch mein Herz klopfte schneller, denn das am Boden liegende Dunkle war ein Mensch.
Ein
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