109 - Der Werwolf und die weiße Frau
Gesicht jetzt gesehen.
„Du darfst es nicht verraten, daß Dorian Hunter lebt, Phillip. Verrate dieses Geheimnis nicht! Ich bitte dich darum!"
Der Hermaphrodit schloß die Augen und summte etwas Unverständliches.
„Denk an meine Bitte, Phillip!" sagte ich und warf ihm noch einen Blick zu.
Er antwortete nicht. Sein Gesicht wurde einen Moment angespannt, dann lächelte er.
Abi Flindt war nicht zu sehen, als ich Phillips Zimmer verließ, doch ich war ziemlich sicher, daß er meine Worte gehört hatte.
Grete Hauser wußte nicht, wie lange sie bewußtlos gewesen war. Die junge Frau wälzte sich keuchend auf den Rücken. Sie öffnete die Augen und schloß sie augenblicklich wieder. Das grelle Sonnenlicht ließ ihre Augen tränen.
Mühsam schleppte sie sich zum Wagen zurück, öffnete das Handschuhfach und suchte nach der Sonnenbrille, die sie nach kurzem Suchen fand und aufsetzte. Noch immer schmerzte sie das Tageslicht. Ihre Augen tränten weiter.
Sie ließ sich hinter das Lenkrad fallen und blickte in den Rückspiegel. Ihr kursgeschnittenes, blondes Haar war zerrauft und ihr Gesicht unnatürlich blaß. Mit beiden Händen richtete sie etwas das Haar zurecht und schloß das zerrissene Kleid über der Brust. Ihre Finger zitterten leicht, als sie den Wagen startete. Der Motor sprang an, und sie fuhr langsam die schmale Straße entlang und bog nach rechts in die Bundesstraße 11 in Richtung Deggendorf ein.
Ein Mercedes mit Münchner Nummer hupte sie wütend an, überholte sie, und der Fahrer tippte sich dabei an die Stirn.
Grete fuhr wie in Trance. Noch immer strömten Tränen über ihr Gesicht. Die Lippen hatte sie fest zusammengepreßt, und ihre Hände verkrallten sich um das Lenkrad.
Nach zwei Kilometern bremste sie und fuhr auf Dr. Martens Haus zu, das sich hundert Meter von der Straße entfernt befand. Vor dem Haus blieb sie stehen und stieg aus dem Wagen. Wie eine Betrunkene torkelte sie die Steintreppe hoch, die zum Eingangstor führte. Sie lehnte sich dagegen und drückte auf den Klingelknopf.
Niemand öffnete. Sie läutete nochmals, dann probierte sie die Klinke. Die Tür schwang auf, und sie trat in das Haus des Arztes ein.
„Dr. Martens?" rief sie fragend.
Kein Antwort. Zögernd ging sie weiter. Vor der Kleiderablage blieb sie stehen.
Waldi, der dreijährige Dackel des Arztes, lag vor der Kleiderablage, alle viere von sich gestreckt. Sein Kopf lag in einer Blutlache. Deutlich war die Bißwunde an seinem Nacken zu erkennen. Langsam stieg sie über den toten Hund und betrat den schmalen Korridor, der zum Wartezimmer führte. Das Dämmerlicht im Gang tat ihren Augen gut.
„Dr. Martens!" rief sie, als sie den Arzt erblickte, der zusammengerollt auf dem Boden lag.
Grete versuchte den Arzt zu wecken, doch es gelang ihr nicht. Die Frau des Arztes fand sie im ersten Stock. Sie lag im Bett. Ihr Nachthemd war zerrissen, und sie schlief fest.
„Die Polizei", flüsterte Grete. „Ich muß die Polizei verständigen."
Die nächste Ortschaft war Winden. Dort gab es eine Polizeistation. Aber niemand meldete sich.
Ein paar Minuten später war sie nach Winden unterwegs, das etwas abseits von der Bundesstraße lag.
Zehn Minuten nach zwölf Uhr fuhr sie an den ersten Häusern des kleinen Dorfes vorbei. Kein Mensch war auf der Straße zu sehen. Auf dem Hauptplatz stellte sie den Wagen ah und blickte sich verwundert um.
Das Dorf wirkte wie ausgestorben.
Sie drückte die Hupe - immer wieder. Kein Mensch reagierte auf das Wütende Hupen. Kopfschüttelnd glitt Grete Hauser aus dem Opel und überquerte den Platz. Neben einem Auto lag ein Mann und schlief friedlich. Die Tür zur Polizeiwache stand offen. Ein Polizist in zerfetzter Uniformbluse lag vor dem Schreibtisch.
Grete ließ sich auf einen Stuhl fallen, nahm die Sonnenbrille ab und wischte sich die Tränen fort. Anscheinend war vergangene Nacht das Dorf ebenfalls von den Wölfen überfallen worden. Die Wölfe hatten die Bewohner gebissen, die bewußtlos geworden waren und nun alle schliefen.
Auch ich bin gebissen worden, dachte Grete, aber ich konnte die Müdigkeit überwinden. Vielleicht wirkt der Biß bei mir nicht so stark.
Ein paar Minuten später trat sie wieder auf den Hauptplatz. Täglich kamen Lieferwagen in das Dorf. Weshalb nicht auch heute? fragte sie sich verwundert.
Sie schritt an der Bäckerei, der Drogerie dem Tabakladen vorbei. Alle Geschäfte waren leer. Im Dorf war es unwirklich still.
Grete zuckte erschrocken zusammen, als sie das
Weitere Kostenlose Bücher