109 - Die Atemdiebin
wollten, rückte Dufaux'
Wunschtraum in greifbare Nähe. Vielleicht konnte er schon bald ohne Schutzanzug und Helm durch Liion spazieren.
Wenn niemand von »Projet Vitalité« erfuhr.
Der Colonel brauchte noch einige Sekunden, um den Anblick des Gemetzels im Labor zu verdauen, dann griff er an seinen Gürtel und aktivierte das Funkgerät. St. Genis Laval lag nur sechs Kilometer Luftlinie entfernt, also innerhalb des Empfangsbereichs, den die CF-Strahlung zuließ.
Der Funkruf ging in den Äther hinaus.
»Village«, erklang es, untermalt von atmosphärischen Störgeräuschen. Nur zwei Sekunden bis zur Antwort. Der General musste mit der Hand am Rufknopf gewartet haben.
»Außenkommando«, meldete Dufaux. »Bitte Tagesschlüssel verwenden.«
Ohne auf eine Antwort zu warten, aktivierte er den kryptografischen Chip. Von nun an würde alles, was er sagte, digital zerlegt und als unverständliches Jaulen über den Äther geschickt und erst im Terminal seines Vorgesetzten wieder zu verständlichen Sätzen zusammengefügt werden. Gesetzt den Fall, dass die Briten die Frequenzen abhörten, konnte es Jahre dauern, bis sie den Code knackten.
»Verschlüsselung aktiviert«, gab Village durch. Seine Stimme klang jetzt blechern, als würde er in ein hohles Gefäß sprechen, ließ sich aber weiterhin gut verstehen, »Unser Befürchtungen haben sich leider bestätigt«, erklärte Colonel Dufaux ohne weitere Umschweife. »Sturzbäche haben nicht nur den Bunkereingang freigelegt, sondern auch das Tor gesprengt und die Abstiegsluke korrodieren lassen.«
»Merde!«
Dufaux teilte diese Einschätzung, fuhr aber ungerührt fort:
»Im Bunker ist soweit alles intakt. Selbst die Energieversorgung funktioniert noch. Allerdings ist diverses Viehzeug eingedrungen. Zwei Taratzen haben sich selbst gegrillt, als sie versuchten, die Dekontaminationsschleuse zu durchbrechen. Später hat es auch einige Barbaren ins Labor verschlagen. Wie es scheint, werden unsere Türcodes zwanzig Jahre nach der Versiegelung automatisch deaktiviert. Eine Routinemaßnahme, die verlassene Außenstellen zugänglich halten soll, selbst wenn es zu Datenverlusten in der Zentrale kommt. Eine Taktik, die es zukünftig zu überdenken gilt.«
Village besaß derzeit keinen Sinn für Verbesserungsvorschläge. »Und die eingedrungenen Barbaren haben sich unseres Experiments bemächtigt?«, erfüllte seine aufgebrachte Stimme den transparenten Helm.
»Es sieht leider noch viel schlimmer aus.« Stille. Der General rang vermutlich gerade um Luft oder tastete nach seinem Riechfläschchen. Dufaux gestattete sich ein Grinsen, bevor er erklärte: »Amelie Peringon ist fort. Dafür liegen hier fünf männliche Leichen. Barbaren, die an rasantem Zellverfall gestorben sind. Eine Überprüfung der automatischen Aufzeichnungen lässt leider nur den Schluss zu, dass der Lieutenant nicht in Ausübung seiner Pflicht gefallen ist, sondern mit Hilfe des Anzugs überlebt hat. Achtundzwanzig Jahre lang wurden die Körperfunktionen auf einem minimalen Level erhalten, bis ihr das Erscheinen der Barbaren zur Regeneration verhalf.«
Dufaux machte eine Pause, um dem General Zeit für eine Erwiderung zu geben, doch außer statischem Knistern war nichts zu hören. Er befürchtete schon einen Zusammenbruch der Verbindung, als sich Village doch noch meldete.
»In Ordnung«, sagte er, wieder völlig souverän.
»Wenigstens wissen wir jetzt, woran wir sind. Kopieren Sie sämtliche relevanten Daten und kehren Sie zur Basis zurück. Ich sende ein weiteres Team aus, das die Außenstelle vor weiterem unbefugten Betreten schützt.«
»Wir haben jetzt keine Zeit für lange Analysen«, widersprach Dufaux. »Wir müssen handeln, und zwar sofort.«
Ein amüsiertes Lachen drang aus dem Helmlautsprecher.
Village sprühte stets vor guter Laune, wenn er seinen Untergebenen einen Schritt voraus war.
»Sehr richtig, Colonel. Das werden wir auch. Deshalb brauche ich Sie auch vor Ort. In Liion gibt es nämlich eine interessante neue Entwicklung.«
***
»Ein Gottesurteil?«, fragte Matt schockiert. »Wie soll das denn funktionieren?«
Blaance, die ihnen die Neuigkeit überbracht hatte, schien über sein Unverständnis verblüfft. »Das ist doch ganz einfach«, erklärte sie. »Der Atemdieb soll sich für einen der beiden Beschuldigten entscheiden. Der, der morgens zur Mumie gealtert ist, ist der Mörder.«
Erwartungsvoll sah sie von einem zum anderen, doch keiner der Anwesenden vermochte die Logik der
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