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1091 - Das Geschöpf

1091 - Das Geschöpf

Titel: 1091 - Das Geschöpf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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dem Gesicht bewegte sich nicht. Sie blieb so starr unter dieser dünnen Schicht, aber an den Lippen sah ich das leichte Zittern.
    Manuel öffnete seinen Mund…
    Mein eigenes Staunen vervielfältigte sich aufgrund seiner Reaktion. Daß ich beim ersten Kontakt schon so weit kommen würde, hätte ich nicht gedacht, und auch das Stöhnen blieb. Es drang tief, sehr tief aus seiner Kehle.
    Ich konzentrierte mich dann auf seine Augen. Wenn Leben bei einem Menschen zu sehen war, malte es sich zumeist in den Augen ab. Bei ihm hatten sie ausgesehen wie bei einem Toten, aber dieser Ausdruck schwand dahin.
    Die Augen erhielten Leben. Der starre Blick schwand dahin. Er bewegte auch seine Lider, die Wimpern zitterten dabei, und ich ließ die Fingerkuppen meiner linken Hand über das Gesicht des Jungen gleiten. Sie liebkosten die Wangen.
    Wieder hörte ich das Stöhnen.
    Das machte mir Mut, und ich raffte mich zu einer Frage auf. »Hörst du mich, Manuel…?«
    Die folgenden Sekunden vergingen in einer dichten Spannung, die sich aber nicht löste, weil der Junge mir keine Antwort gab. Er mußte erst zu sich selbst finden.
    Ich hielt mich mit dem Kreuz zurück und beobachtete weiterhin sein Gesicht. Um die Lippen herum war das seltsame Eis tatsächlich ein wenig geschmolzen. Jedenfalls schimmerten die Lippen nicht mehr so blau wie zu Anfang. Allmählich kehrte ihre Farbe zurück, sie nahmen einen rosigen Ton an.
    Ich wartete weiter. Der Junge bewegte seine Zunge. Es war zu sehen, da ich in den offenen Mund schaute. Ich hörte wieder ein Geräusch, doch diesmal war es nicht nur ein Stöhnen. Manuel versuchte, die ersten Worte zu formulieren.
    »Ja«, flüsterte ich ihm zu, »ja, sprich weiter. Tu dir, deiner Mutter und mir den Gefallen…«
    Er probierte es. Die ersten Worte waren so etwas wie ein akustischer Buchstabensalat, ich verstand nicht viel, aber die Zeit verging, und Manuel schaffte es, sich wieder zu fangen.
    Ich verstand das erste Wort.
    SCHATTEN.
    Als ich dieses Wort vernahm, schrak ich zusammen, denn damit hatte ich nicht gerechnet.
    Schatten!
    Sie mußten für ihn schrecklich sein. Sie waren es, die ihn bedrängten, oder auch nur ein Schatten.
    »Hörst du mich, Manuel?«
    »Wer spricht denn?«
    »Ich bin ein Freund.« Meinen Blick hatte ich fest auf seine Augen gerichtet, weil ich wissen wollte, ob er er überhaupt in der Lage war, mich wahrzunehmen.
    »Freund?«
    »Gut - weiter!«
    »Freund?« wiederholte er mit schwacher Stimme. »Er ist nicht mein Freund. Der Schatten holt mich immer. Er ist so stark. Ich bin für ihn wichtig, zu wichtig.«
    »Warum?«
    »Er braucht mich. Er ist böse.«
    »Siehst du ihn?«
    »Nein.«
    Ich hatte mich ablenken lassen und konzentrierte mich jetzt wieder auf seine Augen. Sie hatten sich nicht großartig verändert. Ihr Ausdruck war noch immer vom normalen Blick eines Menschen meilenweit entfernt. Doch ich freute mich darüber, daß es mein Kreuz geschafft hatte, die verdammte dämonische Barriere zu durchbrechen. Das ließ die Hoffnung in mir weiter steigen.
    Für mich stand fest, daß es eine Verbindung zwischen dem Jungen, dem Schatten und auch den vier gefundenen Leichen gab. Sie war sehr stark, doch ich beschäftigte mich jetzt damit, sie aufzureißen, Er atmete jetzt. Das Ausstoßen und das Einatmen der Luft war mit einem Stöhnen verbunden, das mich zutiefst berührte. Ich fürchtete um ihn, doch der Junge fing sich wieder.
    Bevor ich noch eine Frage an ihn stellen konnte, sprach er zu mir. »Er ist da. Er ist gekommen. Ich weiß es. Er will zu mir. Er will… er mag es nicht, daß ich erwacht bin. Ich habe ihn gestört. Er kann sich nichts mehr holen. Er ist so grausam…«
    »Was hat er vor?«
    »Er… er… ist so nahe.«
    »Kannst du ihn sehen?«
    »Nein, aber er ist nah!«
    Ich blickte zur Decke und kontrollierte auch die Wände. Dabei wartete ich auf die schnelle, sprunghafte und dunkle Bewegung, auf den gestreckten Körper, den ich schon einmal gesehen hatte, aber er tauchte nicht auf.
    Hatte sich der Junge geirrt? Sah er den Schatten nur in seiner Phantasie? Oder war es ihm gelungen, ihn durch eine andere Welt jagen zu sehen?
    Manuel atmete scharf ein. So laut, daß ich schon Furcht um ihn bekam.
    Dann meldete er sich mit lauter Stimme. Sie glich schon einem Schrei, als er rief.
    »Er ist da!«
    Der nächste Schrei erreichte ebenfalls meine Ohren. Nur war er nicht in Manuels Zimmer ausgestoßen worden, sondern im Nebenraum, und er hatte sich verdammt schlimm

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