1093 - Blutkult um Angela
»Nein, Tiziana, das hat keinen Sinn. Wenn du dir selbst einen Gefallen tun willst, dann verlasse den Bunker so schnell wie möglich. Geh weg, es ist besser. Sonst läufst du in Gefahr, ebenfalls ein Vampir zu werden.«
»Das will ich!«
»Du bist wahnsinnig.« Ich ließ ihre Hand los. Sie stieß nicht mehr zu, sondern drehte mir den Rücken zu. Ein Zeichen, daß sie nichts mehr mit mir zu tun haben wollte.
Auch ich mußte meinen Platz verlassen und mich unter die Gäste mischen. Der Anführer der People of Sin war erledigt, aber die Gruppe bestand aus fünf Mitgliedern. Sollte jedes Mitglied ein Vampir sein, dann waren es genau fünf zuviel. Wenn sie von einem Blutdurst überfallen wurden, konnte es zu einer irren Kettenreaktion kommen.
Ich gönnte den beiden Keepern noch einen letzten Blick. Sie standen zusammen, schauten an mir vorbei und hatten nur Augen für den toten Holger.
»Laßt ihn erst mal dort liegen!« wies ich sie an.
Sie nickten.
»Und dann versucht, so zu tun, als wäre nichts geschehen.« Ich ging auf sie zu. »Der Betrieb hier muß weiterlaufen. Habt ihr das begriffen, Freunde?«
»Ja, ja. Wir sagen nichts. Es soll ja die Blut-Party werden. Viele glauben an Blade und…«
»Es war nur ein Film. Dies hier ist leider die verdammte und brutale Wirklichkeit. Ich gebe euch einen guten Rat. Hütet euch vor den anderen Mitgliedern der Gruppe.«
»Sie werden für Angela spielen.«
»Ich weiß.« Mehr sagte ich nicht. Ich kletterte wieder über die Theke, diesmal in umgekehrter Richtung und wäre beinahe Tiziana auf die Füße gesprungen, die am Rand der oberen Treppenstufe wartete und auf den Friedhof schaute.
Als sie mich sah, nahm sie eine abwehrende Haltung an. »Du hast ihn getötet.«
»Ja, das habe ich.«
»Angela wird sich rächen.«
»Warten wir mal ab. Hast du sie schon gesehen?«
Die schlichte Frage brachte sie wieder zurück in die Normalität. »Nein, sie ist noch nicht hier, aber ich glaube, daß sie jede Minute eintreffen kann. Sie kann uns nicht so lange allein lassen. Wir alle warten auf sie.«
»Was genau soll sie tun?«
»Sie wird singen.«
»Oh.«
»Ja«, erklärte Tiziana, ohne mich dabei anzuschauen. »Sie wird den Blutsong singen, und wir alle werden ihr lauschen. Darauf warten wir. Für sie ist alles so eingerichtet worden. Sie ist das, was viele von uns gern sein möchten. Ein Geschöpf der Nacht und ein Wesen, das auch am Tage existieren kann.«
»Wie im Film?«
»Ja, wie Blade. Er ist unser großes Vorbild, aber es gibt ihn leider nicht in der Wirklichkeit. Angela schon.«
»Woher weißt du das? Alles aus dem Internet?«
»Nicht nur. Viele Freunde haben davon berichtet. Alle, die du hier siehst, warten auf sie. Wir lieben sie, denn sie ist unser Kult. Sie allein.«
Ich konnte Tiziana nicht verdammen. Sie fuhr einfach auf diese Szene ab, wie auch die anderen. Es war mir im Prinzip egal, welches Hobby jeder Mensch hatte. Nur wenn aus dem Spaß ernst wurde, so wie hier, mußte ich eingreifen. Meine Erfahrungen mit echten Vampiren waren eben zu schlimm gewesen.
Noch immer stand sie bei mir. Ich betrachtete ihr Profil. Das Gesicht wirkte fragil. Es war fein geschnitten. Sie hielt die Lippen zusammengepreßt und schaute in den Bunker hinein und damit auch über den Friedhof hinweg.
Er war von einer ungewöhnlichen Unruhe erfüllt. Jeder Gast hielt sich dort auf. Aber keiner blieb länger stehen. Die Gestalten bewegten sich von einer Seite zur anderen. Hin und wieder schauten sie sich die Grabsteine genauer an. Einige hielten auch Gläser mit gefärbten Drinks in den Händen, nippten ab und zu daran und taten sonst nichts, als nur auf Angela zu warten.
Sie ließ sich Zeit. Ich ging davon aus, daß sie bei ihrer Ankunft entsprechend begrüßt wurde und hielt Ausschau nach den People of Sin. Sie waren schließlich so etwas wie ihre Leibwächter, wobei ich mich darüber wunderte, daß sie sich für eine deutsche Gruppe entschieden hatte. Hier auf der Insel gab es genügend schräge Musikgruppen, deren Musik zu ihr paßte.
Auch die deutsche Gruftie- oder Schwarzen Szene war ziemlich verbreitet und international geworden. Möglicherweise hatte Angela gerade diese spezielle Musik besonders gefallen.
Ich suchte die Mitglieder der Gruppe. Hin und wieder tauchten sie auf, und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn der Friedhof war noch unheimlicher geworden.
Woher der künstliche Dunst gequollen war, konnte ich nicht feststellen, jedenfalls war er da, und er
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