1093 - Blutkult um Angela
erweitert, und mit einem langen Schritt trat Angela auf ihr erstes Opfer zu.
Tiziana sah aus wie ein Denkmal, dem ein rotes Kleid übergestreift worden war. Der Wind fuhr in den Kreis hinein. Er spielte mit dem Stoff und ließ ihn leicht flattern, so daß er sich in Wellen am Körper herabbewegte.
Die Blicke der rothaarigen Frau hingen an den Lippen der Wiedergängerin. Sie flehte stumm darum, endlich gebissen und in den Kreis aufgenommen zu werden.
Harry wollte dies nicht zulassen. Ohne daß er dabei beobachtet wurde, zog er seine Pistole mit den geweihten Kugeln. Er wunderte sich zusätzlich, daß Dagmar nichts tat. Sie sah aus wie jemand, der ebenfalls unter einem fremden Bann stand.
»Komm noch etwas näher!« lockte Angela.
Tiziana gehorchte. Sie lächelte sogar. Nach einem Schritt blieb sie stehen.
Die Entfernung stimmte.
Angela war nur geringfügig größer als Tiziana. Sie brauchte den Kopf nicht zu tief zu beugen, um an den Hals der jungen Frau heranzukommen. So weit war es noch nicht. Zuerst streckte sie ihr die Arme entgegen und ließ ihre Handflächen sanft über die Wangen der Rothaarigen hinweggleiten.
»Ich spüre dein Blut!« kommentierte sie. »Ja, ich kann es genau spüren. Es fließt so wunderbar warm durch deine Adern. Es ist nicht nur warm, sondern auch frisch. Weißt du eigentlich, daß frisches Blut am besten schmeckt? Nein, du weißt es nicht. Woher auch? Aber du wirst es bald erfahren, wenn du deinen ersten Drang stillen mußt, wenn die Gier so stark ist wie bei mir…«
Angela konnte sich nicht mehr beherrschen. Auch diejenigen, die weiter von ihr wegstanden, sahen das Zittern, das wie schnelle Stromstöße ihren Körper durchrann. Sie senkte ihren Kopf und drückte den der jungen Tiziana nach rechts, um an die linke Halsseite zu gelangen. Dabei öffnete sie ihren Mund so weit wie möglich.
Harry Stahl war plötzlich ganz ruhig. Er kam sich jetzt vor wie in Eis eingepackt. Die Mündung der Waffe zeigte noch nach unten. Das änderte sich in den nächsten Sekunden, als er die Pistole anhob.
Er stand zwar nicht in der vordersten Reihe, doch das machte ihm nichts aus. Da sich die Zuschauer nicht bewegten und es zwischen ihnen genügend Lücken gab, konnte er durch sie schießen.
Er zielte.
Schlechtes Büchsenlicht. Leider konnte er sich die Zustände nicht herbeizaubern. Ein Schuß mußte und würde reichen. Er brauchte auch nicht den Kopf der Blutsaugerin zu treffen. Es wäre zudem nicht so leicht gewesen, weil sich Tizianas Kopf ebenfalls in der Nähe befand.
Harry wunderte sich über seine Ruhe. Und er freute sich darauf, mit einem Schuß alles aus der Welt schaffen zu können.
Tiziana flehte Angela an. »Bitte… bitte… beiß doch zu. Trink endlich mein Blut…«
»Keine Sorge, ich…«
Harrys Finger umspannten den Abzug. Er mußte ihn nur um eine Idee bewegen, dann…
»Nein, so weit wird es nicht kommen!« Eine andere Stimme hatte den Satz gesagt. Und gleichzeitig hatte sich die Sprecherin vorgeschoben.
Es war Dagmar Hansen!
***
Zum Glück konnte Harry den Finger noch soeben zurückziehen. Er unterdrückte den Reflex und glaubte, daß die Waffe auf einmal glühend heiß geworden war.
Mit Dagmars Eingreifen hatte er nicht mehr gerechnet, weil sie ihm vorgekommen war wie jemand, der ebenfalls unter dem Bann der Blutsaugerin gestanden hatte.
Angela gehorchte. Vielleicht war es auch nur ein Reflex, der sie hatte innehalten lassen, so daß sie selbst nicht hinter ihrem Tun stand. Sie biß aber nicht zu. Die Zähne waren noch eine Fingerbreite von Tizianas Hals entfernt. Dort zuckte und bewegte sich die Haut, weil die Frau so heftig atmete.
Niemand konnte sagen, ob Tiziana richtig mitbekommen hatte, was da passiert war, aber der schnelle Biß würde sie nicht mehr erwischen, das stand fest.
Angela hob den Kopf etwas an und drehte ihn so, daß sie Dagmar anschauen konnte. »Du…?«
»Wer sonst.«
»Misch dich nicht ein, Dagmar. Ich rate es dir. Du hast deine Zeit gehabt, als wir in Germany gewesen sind. Das ist vorbei. Jetzt bin ich an der Reihe.«
»Das sehe ich.« Dagmar war ihr waffenlos gegenübergetreten und hatte damit extremen Mut bewiesen, was auch Harry zugeben mußte. Er war noch immer gespannt und bereit, ebenfalls aus dem Hintergrund hervor eingreifen zu können.
»Geh, Dagmar, geh deinen Weg. Ich kann dir versprechen, daß ich dein Blut nicht trinken werde.«
»Das glaube ich dir gern. Abgesehen davon, daß du es auch nicht bekommen hättest. Aber du
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