1097 - Der Tod aus dem Tunnel
Darüber konnte sie nur lächeln. Es machte ihr eben Spaß, und sie hatte auch schon mit dem Gedanken gespielt, sich bei der Polizei zu bewerben. Aber noch gefiel ihr der Job zu gut. Und als Polizistin fühlte sich sich auch jetzt schon ein wenig.
An ihrem Arbeitsplatz war es bullig warm gewesen. Auf dem Bahnsteig fiel ihr die Kälte besonders auf, und in der Oberwelt war es noch schlimmer. Da sah sie die tief liegenden Wolken, aus denen helle Eiskörner fielen.
Sie verzichtete darauf, sich eine Zeitung zu kauf en und tauchte schnell wieder ein in ihren eigenen Bereich. Es herrschte um diese Zeit viel Betrieb. Wie immer hielt sich hier unten ein Querschnitt der Moskauer Bevölkerung auf. Sie sah Gewinner und Verlierer, und sie sah plötzlich einen jungen Mann mit blonden Haaren, der sich seltsam benahm. Er ging auf eine Art und Weise, die ihr nicht gefiel. Betrunken war er nicht, das hatte sie mit einem Blick erkannt. Er wirkte eher, als wäre ihm etwas passiert. Nina kannte sich aus. Hier unten liefen des öfteren Menschen herum, die kurz nach dem Raub noch unter Schock standen. Genau so wirkte der junge Mann auf sie. Im Laufe der Zeit hatte sie einen Blick für Gesichter bekommen und auch ein entsprechend gutes Gedächtnis.
Nina liefihm so in den Weg, daß er sie einfach sehen mußte und fast gegen sie geprallt wäre.
»He, was ist los?«
Er wollte vorbei, aber sie hielt ihn fest und zerrte ihn zurück. Dann drehte sie ihn und drückte ihn gegen die Wand. Der Betrieb lief jetzt an ihnen vorbei.
»Wer bist du?«
»Nikita.«
»Und was ist los mit dir?«
Der blonde Junge senkte den Kopf. Erst jetzt schien er Nina richtig wahrzunehmen. Er zog die Nase hoch und hustete. Er sah ihre Uniform und wirkte erleichtert.
»Kannst du mir helfen?«
»Ich versuche es. Geht es dir schlecht? Bist du überfallen und ausgeraubt worden?«
»Nein.«
»Was hast du dann?«
»Er ist weg!«
»Wer ist weg?«
»Pjotr.«
»Und wer ist das?«
»Mein Kumpel.«
»Ist das dein Problem?«
Nikita nickte. »Ja, verdammt. Er ist plötzlich verschwunden. Er stand nicht mehr da, wo ich ihn verlassen habe.«
»War das hier unten?«
Nikita nickte heftig.
Nina begriff sein Verhalten nicht. »Nur weil du deinen Kumpel nicht gesehen hast, brauchst du dich doch nicht so anzustellen. Der ist doch wohl kein Baby.«
»Weiß ich selbst«, flüsterte Nikita. »Aber da war Blut…«
»Bitte?«
»Ja, Scheiße, Blut.«
»Hier unten?«
»Klar doch.«
»Wo denn?«
»Komm mit!«
Nina überlegte nur kurz, ob es eine Falle war, aber das war es nicht.
Dieser Nikita spielte ihr nichts vor, ein so guter Schauspieler war er nicht.
Die Angst in seinen Augen war echt.
»Dann zeig mir die Stelle.«
Gemeinsam gingen sie los. Nikita zog immer wieder die Nase hoch und schaute sich gehetzt um. Es gab nichts in der Nähe, das ihnen gefährlich werden konnte. Die anderen Menschen kümmerten sich nicht um sie, und so gelangten sie unbehelligt bis zu dieser Nische, wo Pjotr auf Nikita hatte warten sollen. »Hier ist es!«
Nina schaute sich um. »Ja, ich sehe es. Es wartet keiner auf dich. Nur der verdammte Abfall liegt hier.«
»Dann schau mal genauer nach.«
»Wie meinst du das?«
»Los, schau nach.« Er deutete auf die Wände, die Tür und auch auf den Boden.
Nina sagte nichts mehr. Schon beim ersten genauen Blick war ihr etwas aufgefallen. Die roten Punkte oder Flecken paßten nicht zu diesem Bild.
Sie wirkten verschmiert und verwaschen, und sie klebten sogar an der Außenseite der Tür.
»Weißt du, was das ist?«
»Blut?« fragte sie leise.
»Ja, verdammt, das ist Blut. Ich bin schon hier gewesen und habe es auch probiert. Und ich werde dir sagen, daß es sein Blut ist. Das Blut meines Freundes.«
Nina hob die Schultern. »Okay, dann hat man ihn wohl überfallen, denke ich.«
»Nein, das nicht.«
»Wieso nicht?«
»Nicht ihn. Er weiß sich zu wehren. Dann wäre er ja auch noch hier. Oder hätte sich weitergeschleppt. Er wäre auch anderen aufgefallen, verstehst du das?«
»Ja, das ist mir schon klar. Vielleicht war er nicht so schwer verletzt, daß er einfach nur mal weggegangen ist?«
»Das glaube ich nicht. Wir waren hier verabredet. Er wollte auf mich warten.«
Nina sagte nichts mehr. Ihr Interesse galt der Tür, die sie sich genauer anschaute. Sie kannte sich in diesem Revier sehr gut aus. Sie wußte auch, welche Welt hinter der Tür lag, und sie wunderte sich jetzt, daß sie darauf ebenfalls Blut sah. Normalerweise war die
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