1099 - Der Werwolf und die Tänzerin
Nicken.
Madeleine lächelte. Sie war mit sich und der Entwicklung der Dinge sehr zufrieden…
***
Jane Collins konnte überhaupt nicht beschreiben, wie sie sich fühlte. Dafür gab es keinen Ausdruck.
Mies und schlecht waren untertrieben. Der Kopf brummte. Ihre Augen brannten, und sie hatte den Eindruck, in einem anderen Körper zu stecken. Außerdem lag sie auf dem Boden. Getreten wie ein Wurm.
Eines allerdings war geblieben. Der Wille - ihr Wille, nicht aufzugeben und nicht die Flinte ins Korn zu werfen. Auch wenn sie jetzt über den Fußboden kroch, um den nächsten Stuhl zu erreichen.
Es fiel ihr schwer, sich hochzuziehen und dann zu setzen. Schwankend, immer wieder tief Luft holend. Die Augen brannten auch weiterhin. Der Kopf war scheinbar gewachsen, und die Erinnerung an das Geschehen heiterte sie auch nicht eben auf.
Sie hatte verloren. Madeleine Bishop war letztendlich stärker und raffinierter gewesen. Sie hatte Jane nicht einmal in eine gewisse Sicherheit gewiegt, sondern sich aggressiv gegeben. Aber sie hatte dann zugeschlagen.
An den Folgen litt die Detektivin noch jetzt. Sie brauchte Hilfe. John brauchte Hilfe, denn er war nicht gekommen, um sie zu suchen. Also, folgerte Jane, ging es ihm wahrscheinlich nicht besonders gut. Wenn die Frau es geschafft hatte, Jane zu erwischen, dann mußte John dem Werwolf unterlegen gewesen sein. So einfach war das.
Jane wäre gern losgegangen, um ihn zu suchen. Dazu war sie nicht in der Lage. Allein schaffte sie das nicht. Die Schwäche fühlte sie nicht nur in den Beinen, es fiel ihr auch schwer, klare Gedanken zu fassen. Sie wußte nur, daß der Werwolf und die Tänzerin auf keinen Fall Feinde waren und perfekt zusammenarbeiteten.
Es war ihr auch nicht möglich, loszugehen und Hilfe zu holen. Nicht sofort, obwohl es wichtig war.
In einem derartigen Fall war ein Handy sehr hilfreich.
Jane trug eines bei sich. An ihrem Gürtel, wo auch die Waffe befestigt war. Sie war nicht einmal dazu gekommen, sie zu ziehen und hatte die Lage wohl auch als nicht so gefährlich eingeschätzt.
Jedenfalls war die Beretta noch vorhanden. Madeleine hatte vergessen, sie ihr abzunehmen.
Das Handy war okay. Es steckte in einem Etui, das innen gepolstert war. So war es geschützt worden, und Jane versuchte, Suko zu erreichen. Er würde alles Nötige in die Wege leiten können, denn das Theater mußte ebenfalls durchsucht werden.
Shao meldete sich.
»Hier ist Jane. Gib mir bitte Suko.«
Die Chinesin erkannte an Janes Stimme, daß etwas nicht stimmte. »Was ist los? Steckst du in Schwierigkeiten?«
»Ja, aber ich brauche Suko.«
»Moment, ich gebe ihn dir.«
Jane war froh, mit ihm sprechen zu können. Sie wußte nicht, ob John seinem Freund etwas von diesem Einsatz erzählt hatte und hielt sich damit auch nicht auf, sondern bat ihn, so schnell wie möglich zu kommen und auch Kollegen mitzubringen, damit das Theater durchsucht werden konnte.
»Ja, das geht in Ordnung.«
»Ihr werdet mich in der Garderobe finden.«
»Bis gleich dann. Und gib auf dich acht, Jane.«
»Werde ich versuchen.«
Mit einer lahmen Bewegung steckte sie das Handy wieder weg. Dann drehte sie sich auf dem Stuhl, so daß sie einen Blick in den Spiegel werfen konnte. Das Gesicht sah verquollen aus. Gerötet die Augen und deren Umgebung. Sie tastete an ihrem Hinterkopf entlang und fühlte dort die Beule unter dem Haar.
Das erinnerte sie daran, wie man sie ausgeschaltet hatte. Sie hatte auf dem Boden gelegen. Zwei Hände hatten ihre Ohren umklammert, dann war ihr Kopf in die Höhe gehoben und hart auf den Boden gestoßen worden. Der Blackout war erfolgt. Was danach passiert war, daß wußte sie nicht mehr.
Sie hatte die Tänzerin unterschätzt. Zwar war sie nicht blauäugig in den Fall hineingegangen, sogar John Sinclair war von ihr informiert worden, letztendlich aber hatten sie beide verloren. Sie hätten schon beim Auftritt auf der Bühne wissen müssen, daß es zwischen der Frau und dem Werwolf ein besonderes Verhältnis gab. Ein sehr starkes Band, das von einem Menschen nicht zerrissen werden konnte.
Die Tür zur Dusche war noch weit offen. Die Schwaden hatten sich aufgelöst. Auf dem Boden lag das Handtuch, in das sich Madeleine eingewickelt hatte. Jane erinnerte sich daran, einen Koffer gesehen zu haben. Der war ebenfalls verschwunden.
Um sie herum war alles still wie in einem großen Grab. Nur das eigene Atmen hörte sie. Im Mund spürte sie einen Geschmack, als hätte sich der Speichel in Asche
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