1099 - Der Werwolf und die Tänzerin
Inspektor zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich nicht. Aber wir werden ihn finden, darauf kannst du dich verlassen.«
Im Theater jedenfalls war er nicht mehr. Sie halfen sogar noch bei der Suche, die sie schließlich erfolglos abbrechen mußten.
»Dann laß uns mal die Bishops besuchen«, sagte Suko…
***
Es gab meinen Kopf noch, doch es gab ihn nicht mehr so richtig. Er schien sich in einen unförmigen Gegenstand verwandelt zu haben, in dem es brummte und schmerzte.
Ich mußte nach dem Erwachen damit fertig werden, aber es gab auch andere Dinge, die mir auffielen. Ich stellte fest, daß ich weder die Arme noch die Beine bewegen konnte. Die Gelenke waren gefesselt worden. Man hatte Draht darum gewickelt. Wahrscheinlich diesen Blumendraht, der in die Haut einschnitt.
Ich lag auf der Seite. Zunächst mußte ich mich an meine Lage gewöhnen und auch die Bilder der Erinnerung sortieren.
Es war etwas passiert. Man hatte mich überwältigt. Ich war wie ein Anfänger in die Falle gelaufen, und der Werwolf hatte sich als stärker und auch als raffinierter erwiesen.
Nur war er es bestimmt nicht gewesen, der mir die Fesseln angelegt hatte. Das mußte seine Helferin, Madeleine, getan haben, die ich nicht in meiner Nähe sah.
Ich lag zwar still, aber ich bewegte mich trotzdem fort. Nur nicht aus eigener Kraft. Schon kurz nach dem Erwachen war mir klargeworden, daß ich in einem Fahrzeug lag. Auf dessen Ladefläche.
Wahrscheinlich in einem Transporter.
Daß wir nicht gerade über sehr ebene Straßen fuhren, bekam ich oft genug mit. Der Untergrund bewegte sich, und ich bewegte mich mit. So wurde ich des öfteren durchgeschüttelt, was meinem malträtierten Kopf nicht eben guttat, denn so platzte immer wieder ein Feuerwerk vor meinen Augen auf.
Um mich herum war es dunkel. Nicht so schwarz wie im Theater, hier bewegte sich die Dunkelheit.
Sie wies ab und zu hellere Flecken auf, die wie ein Strom von Bildern vor meinen Augen vorbeizogen. Ich sah nicht, wer hinter dem Steuer saß, ging jedoch davon aus, daß Madeleine den Wagen lenkte.
Und dann gab es noch die Bestie.
Sie war da.
Ich wußte es, denn ich spürte sie. Der Werwolf mußte in meiner Nähe hocken. Sein Geruch war unverkennbar. Ein strenger Raubtiergeruch, der in meine Nase drang, als wollte er sie verstopfen.
Ich hatte ihn noch nicht gesehen. Wahrscheinlich hielt er sich hinter mir auf. Um ihn zu sehen, hätte ich mich drehen müssen.
Das wollte ich zunächst nicht. Der Werwolf und die Tänzerin sollten noch glauben, daß ich auch weiterhin bewußtlos war, um so besser konnte ich mich erholen.
Das eindringende Licht verblaßte. Die Phasen der Dunkelheit nahmen zu. Ich ging davon aus, daß wir London verlassen hatten und mehr über die Dörfer fuhren.
Aber wohin?
Wo lag das Ziel?
Wenn wir eintrafen, was hatte man mit mir vor? Man mußte etwas mit mir vorhaben, denn ich paßte normalerweise nicht in den Plan der beiden hinein. Sie hätten mich schon längst töten können. Der Geisterjäger John Sinclair als Beute eines Werwolfs, das wäre es doch gewesen.
Die Strecke wurde kurvig. Immer wieder schaukelte der Wagen nach rechts und nach links. Ich bekam alles mit. Jeden Stoß, jeden Aufprall. Die Fliehkraft machte mit mir, dem Gefesselten, was sie wollte. Dann packte mich plötzlich eine Hand oder Pranke an der Schulter und rollte mich mit einem kurzen Ruck auf den Rücken.
So blieb ich liegen und starrte in die Höhe!
Ich sah ihn!
Zuerst fielen mir seine Augen auf. Diese kalten, gelben Glotzer, in denen kein Gefühl zu lesen war.
Die von einer nahezu arktischen Kälte durchzogen wurden, so daß ich zu frieren begann. Von diesen Augen, von dieser ganzen Gestalt, konnte ich keine Gnade erwarten, das stand fest. Auch in der Dunkelheit sah ich das feuchte Schimmern der Schnauze sowie die hellen Zähne in den beiden Kieferhälften.
Von der Gestalt her war der Werwolf sehr groß. Selbst hier auf der Ladefläche saß er geduckt, und ich wußte, daß er sich nur mühsam zurückhielt.
Daß mir die Beretta abgenommen worden war, hatte ich schon festgestellt. An das Kreuz hatte sich keiner herangetraut. Ich konnte mir vorstellen, daß sein Einfluß die Bestie davon abhielt, mich zu zerfleischen. Sie war da, um mich zu bewachen.
Noch immer hatte sich nicht die Frage geklärt, wohin man mich bringen würde. Verstecke gab es genug. Wenn jemand wie Madeleine ihr Herz an einen Werwolf verloren hatte, dann durfte sie sich auf keinen Fall mit ihm sehen
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