110 - Herrin der Seelen
die Waldchaussee entlangging. Sie klagte darüber, daß all ihre Freunde und Bekannten sich verändert hätten. Sie benahmen sich seltsam und taten merkwürdige Dinge. So verletzten sie sich absichtlich an den Dornen von seltsamen Blumen und Sträuchern, die man früher noch nie in dieser Gegend gesehen hatte. Mit ihrem Blut füllten die Leute die Schalen von abscheulichen Steinstatuen. Die meisten Männer und Frauen arbeiteten im Falkreuther Steinbruch oder auch in anderen Steinbrüchen der Umgebung. Sie fertigten die großen Steinsäulen, die Menhire, und die Statuen an.
Das alles erzählte Margot Artner in ihrem unschuldigen Plauderton.
Das ist wirklich die personifizierte Unschuld vom Lande, dachte Don Chapman, der sich noch immer nicht zeigte.
„Keiner geht mehr in die Kirche", klagte Margot Artner weiter, „Alle verehren nur diese abscheulichen Steinsäulen mit der scheußlichen Figur oder die kleinen Statuen. Was ist nur los in dieser Gegend? Man kennt die Leute gar nicht wieder. Früher waren alle freundlich und umgänglich - bis auf ein paar Ausnahmen. Jetzt kann man mit keinem mehr reden."
„Hast du denn keine Veränderung an dir bemerkt?" fragte Burian Wagner. „Einen fremden Einfluß?"
Margot Artner schaute ihn groß an. „Wie meinst du das, Burian? Nein, ich bin die gleiche geblieben - wie immer. Nur die anderen haben sich verändert. Du mußt vorsichtig sein, damit es dir nicht auch so ergeht. Du bist noch normal, das merke ich. Weshalb bist du eigentlich wieder zurückgekommen? Die Leute haben gesagt, du wohnst jetzt in einem fernen fremden Land?"
„Ich war weit weg, ja. Ich will herausfinden, was hier los ist."
„Dann solltest du dich an die Runenmeisterin Futhark wenden", sagte Margot Artner spontan. „Ihr bleibt nichts verborgen. Sie weiß alles. Du kennst sie. Ihr richtiger Name ist Tamara Kublajin. Ich kann dich zu ihr hinführen."
Burian Wagners Gesichtsfarbe wurde etwas röter. Er trug die Reisetasche mit den Dämonenbekämpfungsmitteln in der Hand.
„Ich nehme dein Angebot gern an, Margot", sagte er nach kurzem Überlegen. „Führe mich zu Tamara Kublajin, der Runenmeisterin! Ich habe etwas mit ihr zu bereden."
Burian Wagner bog mit Margot Artner von der Straße ab und ging durch den Wald. Don Chapman folgte ihnen unbemerkt zwischen den Bäumen.
Die Vergangenheit stieg in Burian Wagner wieder auf. Er war unruhig und angespannt. In dieser Gegend hier hatte er gelebt und war glücklich gewesen, bis dämonisches Wirken seine Existenz und ihn vernichtete.
Burian Wagner erinnerte sich, während er durch den Mischwald ging und einen Berghang hinauf stieg. Margot Artner kletterte so leichtfüßig wie eine Gemse.
Burian Wagner war Kräuterdoktor und Heilpraktiker gewesen. Er hatte in Winden gewohnt, aber auch in Darendorf und in der Kreisstadt Deggendorf Sprechstunden abgehalten. Viele Leute waren zu ihm gekommen, Menschen, die bei der Schulmedizin keine Hilfe gefunden hatten. Es waren Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und reiche und angesehene Leute darunter gewesen. Burian Wagner arbeitete hauptsächlich mit Kräutermedizinen. Gute Erfolge erzielte er auch durch Handauflegen. Oft waren Krankheiten bei Menschen und Tieren verschwunden, wenn er ihnen nur die Hände aufgelegt und sie besprochen hatte. Manchmal waren die Betreffenden dauerhaft geheilt worden, in anderen Fällen traten die Krankheiten später wieder auf.
Meist mußten mehrere Behandlungen erfolgen.
Burian Wagner erreichte einen Wohlstand, der für seine Bedürfnisse vollkommen genügte. Er war - von den üblichen menschlichen Unzulänglichkeiten abgesehen - glücklich und zufrieden gewesen, bis er in der Nähe von Winden eine Konkurrenz erhielt.
Eine Russin - Tamara Kublajin - ließ sich nieder. Sie übte die Hexenkunst aus, arbeitete auch viel mit Kräutern und war Burian Wagner von Anfang an ein Dorn im Auge. Er verabscheute es, daß sie magische Mittel anwandte, besonders aber die Runenmagie.
Die Russin war eine Fremde, und das Fremde lockte die Leute in der Umgebung an. Außerdem veranstaltete sie immer einen großen Hokuspokus und reizte so die Sensationsgier der Leute. Burian Wagner mußte feststellen, daß immer mehr seiner Patienten zu Tamara Kublajin überliefen. Sie verspottete ihn ganz offen und nannte ihn einen Kurpfuscher. Burian sprach von ihr nur als von der russischen Hexe und behauptete, man müßte sich vor ihr in acht nehmen, weil sie Menschen und Tiere zu Tode kurieren würde.
Weitere Kostenlose Bücher