110 - Herrin der Seelen
sie vom Willen der Runenhexe; der jetzt ausgeschaltet war, abhängig.
Dorian nahm seine ganze Kraft und Energie zusammen, sprach eine Formel der Weißen Magie und stemmte sich entschlossen gegen die Barriere. Sie konnte ihn nicht länger halten. Nackt, in der Gestalt eines älteren Landstreichers, stand der Dämonenkiller neben dem Bett. Zuerst holte er sich seinen Kommandostab, den Magischen Zirkel und den Vexierer; dann wickelte er die weiße Decke um seinen Körper.
In der Kristallkugel auf dem Tisch mit den Runen und dem Drudenfuß war die tote Katze zu sehen. Die Runenhexe stöhnte und zuckte. Sie litt schlimme Qualen, so als sei ein Teil von ihr selbst gestorben.
Dorian zog den Kommandostab zu voller Länge aus und berührte mit dem dicken Ende die Kristallkugel. Er wünschte sich, Don Chapman zu sehen. Und siehe da, es funktionierte.
Dorian erblickte Don, der gerade über die Steinbrücke in den Wald lief. Er nahm die Kristallkugel, wie er es bei der Runenhexe gesehen hatte, und rief Don an. Als Don stehenblieb, sagte ihm Dorian, er solle zu ihm kommen; er gab sich zu erkennen.
Sobald er sich überzeugt hatte, daß Don Chapman zum Haus lief, wandte Dorian sich wieder der Runenhexe zu. Er hob die Stöhnende auf und setzte sie auf den thronartigen Stuhl.
Futhark öffnete die Augen und bedachte Dorian mit einem haßerfüllten Blick.
„Wo ist das Es von Burian Wagner?" fragte Dorian.
„Das - wirst du schon noch früh genug merken", brachte die Runenhexe mühsam hervor. „Oder auch nicht mehr. Dich habe ich falsch eingeschätzt. Du bist - bist…"
Sie hatte mitbekommen, was Dorian zu Don Chapman gesagt hatte.
Nun wußte sie, daß er der Dämonenkiller war, der Totgeglaubte.
Dorian musterte sie kalt. Sie war eine Schwarzblütige und wußte zuviel; er konnte sie nicht am Leben lassen.
„Du bist eine Verbündete Luguris", sagte Dorian. „Er ist mein Todfeind. Aber jetzt sage mir, in welcher Beziehung stehst du zu Burian Wagner? Er kannte dich."
Die Runenhexe wurde jetzt zusehends kräftiger. Sie schaute schon wieder hochmütig drein wie zuvor. Mit dem Handrücken wischte sie sich das Blut vom Mund. Ihre Haltung wurde straffer.
„Das ist eine lange Geschichte", sagte sie. „Ich will dir etwas anderes erzählen. Mein richtiger Name ist Tamara Kublajin, und ich stamme aus Rußland. Ursprünglich war ich nur eine Hexe der niederen Kategorie, die sich mit Runenzauber beschäftigte. Besondere Kräfte und Fähigkeiten hatte ich nicht. Aber dann bekam ich durch meine Runenmagie Kontakt mit der Zauberhexe Futhark, die vor Christi Geburt in den Wäldern dieser Gegend lebte. Sie wurde von einem Druiden gebannt und verbrannt. Aber ihr Geist konnte keine Ruhe finden und schweifte ruhelos durch die Dimensionen des Diesseits und des Jenseits - bis ich ihn rief, und er sich mit meinem verband. Ich begab mich hierher, weil ich in ihrer Heimat am besten mit Futhark verschmelzen konnte. Damals tötete ich eine Frau, die sich in der Behandlung von Burian Wagner befand. Ich tat es, weil ich eine Magie erproben wollte, die Futhark mich lehrte, weil mir das Töten Freude machte und ich Burian Wagner schaden wollte. Er hatte als einziger keine Angst vor mir. Dann wurde ich, Tamara Kublajin, eins mit Futhark. Unsere Geister verschmolzen miteinander, und wir profitierten beide davon. Jetzt war ich so stark und mächtig, daß ich die Partnerin der obersten Dämonen werden konnte. Sogar der Erzdämon Luguri ging mich um meine Hilfe an, als er begann, diesen Landstrich zu unterjochen."
Die Augen der Runenhexe funkelten spöttisch, und Dorian wußte, daß etwas passieren würde. Die Runenhexe hatte aus zwei Gründen so ausführlich berichtet. Erstens, um Zeit zu gewinnen und wieder zu Kräften zu kommen, Zweitens, weil sie meinte, Dorian würde mit seinem Wissen sterben oder ein noch schlimmeres Schicksal erleiden.
Die rothaarige Frau mit dem schwarzen Kleid stand auf und griff nach dem Drudenfuß. Ihr Gesicht war eine starre, hochmütige Grimasse, und ihre Augen blitzten.
„Jetzt sollst du Futhark kennenlernen!" kreischte sie.
Die Konturen ihres Gesichtes verschwammen. Ein anderes Gesicht schälte sich heraus, trennte sich von dem ihren; und ein weißlicher Nebel quoll aus dem Körper der Hexe.
Dorian spürte Eiseskälte und hörte das gellende Gelächter der Runenhexe.
„Futhark ist gekommen!" schrie sie. „Futhark wird dich töten, töten, töten!"
Die weiße Gestalt, geisterhaft durchscheinend, schwebte jetzt
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