110 - Herrin der Seelen
nahm einen seiner Dämonenbanner. Damit eilte er Burian Wagner nach, der inzwischen einen großen Vorsprung gewonnen hatte. Den Holzpflock schleppte Don mit. Er überquerte eine Steinbrücke, die einen schmalen Bach überspannte, und erreichte den Waldrand.
Da hörte er eine Stimme.
„Don Chapman", sagte sie, „bleib stehen!"
Don blieb stehen. Den Holzpflock stoßbereit, sah er sich mißtrauisch um.
„Don", sagte die gleiche Stimme, „komm her zu mir! Um Burian kümmern wir uns später."
„Wer spricht da?" fragte Chapman.
„Dorian Hunter. Komm ins Haus der Runenhexe! Ich bin dort. Ich warte auf dich. Bei Dula und dem Tempel des Hermes Trismegistos, beeile dich!"
Don zögerte nicht länger und lief los. Er glaubte nicht, daß es sich um eine Falle handelte. Nur ganz wenige wußten, daß Dorian Hunter noch lebte. Und über Dula, Don Chapmans Gefährtin, die er in Island auf dem Hof der Alfar zurückgelassen hatte, konnte kein Außenstehender informiert sein; ebensowenig über den Tempel des Dreimalgrößten Hermes.
Don Chapman lief zum Haus der Runenhexe, voller Freude und Erwartung.
Dorian Hunter lag nun schon seit Stunden auf dem Bett im Haus der Runenhexe. Er stand unter einem magischen Bann, der ihn daran hinderte, aufzustehen oder etwas zu unternehmen. Dorian mußte mit ansehen, wie Burian Wagner zu einem Dämonendiener gemacht wurde.
Die schwarze Katze der Runenhexe verschwand durch die Tür, die sich selbsttätig öffnete, und die Runenhexe machte sich wieder mit ihren Runen zu schaffen. Sie murmelte etwas, was Dorian nicht verstand und holte nun den Vexierer, den Magischen Zirkel und den zusammengeschobenen Kommandostab wieder aus der Tischschublade, in der sie alles verstaut hatte. Offenbar hatte sie die Hoffnung noch immer nicht aufgegeben, sie könnte hinter das Geheimnis der Gegenstände kommen. Murmelnd hob sie einen Runenstab.
Dorian hatte inzwischen einiges von ihrer Runenmagie erfaßt. Schließlich war er kein Anfänger auf magischem Gebiet. Die alten Germanen hatten der Runenschrift eine hohe Bedeutung zugemessen. Runen waren in erster Linie zu magischen Zwecken verwendet worden. Die Rune trug einen Namen, durch den sie einen bestimmten Gegenstand oder einen Zustand vertrat, mehr noch, sie war der Gegenstand selbst. Durch Aneinanderreihung von Runen und ihre Beschwörungen konnten magische Effekte erzielt werden.
Dorian zweifelte nicht daran, daß die Runenmagie - zwar wenig ausgeübt - ein starker Zauber war. Er konnte sich auch vorstellen, was die Runenhexe durch ihre schwarze Katze - ihr Werkzeug oder ihr dienstbarer Geist - mit Burian Wagner angerichtet hatte.
Ich, Es und Überich waren Begriffe, die auch in der Psychoanalytik vorkamen. Das Ich war der harmlose, unbefleckte Teil der Persönlichkeit, das zwischen Es und Überich stand und von beiden beeinflußt und geprägt wurde. Das Es war das Triebhafte, das den Menschen zu Taten trieb. Das Überich schließlich vereinte soziale Funktionen und Gewissen in sich und hatte die Aufgabe, Ideale zu schaffen und ihnen nachzueifern.
Wenn Burian Wagner nur noch sein Ich hatte, war er ein unbeschriebenes Blatt, ein Mensch ohne Willen und Antrieb. Wenn Luguri sein Überich erhalten hatte, hieß das nichts anderes, als daß Burian dem Erzdämonen verfallen war.
Dorian fragte sich jetzt nur noch, wo der dritte Bestandteil von Burian Wagners Psyche, sein es, geblieben war. Dorian sah nachdenklich zu der Runenhexe hin.
Plötzlich zuckte sie zusammen wie unter einem Stromstoß. Mit zitternder Hand griff sie nach der Kristallkugel. Ihr Gesicht war totenbleich geworden.
Der Nebel in der Kristallkugel lichtete sich, und Dorian sah vom Bett aus genauso wie die Runenhexe die Szene in der Kristallkugel.
Ein Zwerg, kein anderer als Don Chapman, kämpfte gegen die Katze der Hexe, ihren Helfer und dienstbaren Geist.
Die Hexe stöhnte auf und litt körperliche Qualen, denn ihre Katze war verwundet. Es mußte ein starkes metaphysisches Band zwischen der Runenhexe und der schwarzen Katze bestehen. Futhark wurde fast wahnsinnig, als die Katze verendete. Sie warf sich auf den Boden, kratzte mit den Fingernägeln über die Dielen, daß die Nägel abbrachen, und biß wild um sich - genauso wie die sterbende Katze. Dann lag sie verkrümmt da, und Blut sickerte über ihre Lippen, die sie sich zerbissen hatte.
Jetzt oder nie, dachte Dorian. Er setzte sich auf. Die Barriere war noch da, aber sie war nicht mehr so stark wie vorher. Zumindest teilweise war
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