110 - Herrin der Seelen
Unbefugte verboten.
Hinter ein paar Haselnußsträuchern verborgen, sahen Coco und Unga auf den Steinbruch herunter. Mehr als hundert Leute waren bei der Arbeit. Felsbrocken und Geröll lagen vor der Felswand. Zuerst entstanden aus den Felsbrocken grobe Blöcke, die dann zur Feinbearbeitung kamen. Sie verwandelten sich in Monolithen oder Dämonenstatuen. Die meisten stellten Luguri, den Erzdämon, manche auch andere Dämonen dar. Mit Preßlufthämmern und Elektromeißeln wurden die Konturen aus dem harten Basalt gestanzt, mit Hammer und Meißel die Feinarbeiten gemacht.
Schwere Sattelschlepper zogen große Felsblöcke. Coco und Unga sahen auch eine riesige Planierraupe und eine Laufkatze, einen Lastkran. Ein Lastwagen war unten im Steinbruch abgestellt; ferner ein Anhänger mit überdimensionalen Doppel reifen für den Transport schwerster Lasten.
Die Dämonendiener schufteten ohne Pause. Sie leisteten Schwerstarbeit.
Coco deutete auf sieben Menhire mit schon halbfertigen Lugurifiguren, die im Halbkreis im Steinbruch aufgestellt waren. An ihnen arbeiteten an die vierzig Leute fieberhaft, Männer und auch Frauen. Um die hohen Menhire waren Holzgerüste errichtet.
Man konnte die Frauen in den blauen Arbeitsanzügen nur dadurch von den Männern unterscheiden, daß sie Kopftücher trugen.
Ein Menhir stand vor dem jetzt geschlossenen Einfahrtstor des Steinbruchs. Dornbüsche mit duftenden Blüten wuchsen in seiner Nähe. Auch im Steinbruch stand ein Menhir, ferner eine drei Meter hohe, dreiarmige Statue mit einem verzerrten, fratzenhaften Gesicht. Bei den Holzhütten und - schuppen an der rechten Seite des Steinbruchs wuchs eine Dornenhecke mit den buntesten' Blumen. Sie dufteten betäubend. Auch bei den Baracken auf der anderen Seite des Steinbruchs standen ein paar Blumenbüsche.
Coco kam das ganze Treiben seltsam und unheimlich vor. Es war, als schufteten die Menschen im Angesicht des Menhirs mit der Luguristatue und des dreiarmigen Dämons, als würden sie von ihnen überwacht.
„Sieben Menhire", sagte Coco, als Unga in die Richtung sah, in die sie gezeigt hatte. „Es scheint, daß Luguri eine große Opferstätte plant."
„Jeder Menhir hat sieben Blutnäpfchen", sagte der Cro Magnon. „Sieben mal sieben sind neunundvierzig. Wenn diese Blutnäpfchen alle gefüllt werden sollen, reicht das Blut von einem Menschen nicht dafür aus."
„Es ist eine Blutorgel", sagte Coco. „Bestimmt plant Luguri etwas ähnlich Grauenhaftes wie auf der norwegischen Insel Mageröya. Dort hat Luguri eine ganze Blutwolke erzeugt. Ich habe sie gesehen. Es war entsetzlich."
Unga schaute angestrengt auf die andere Seite des Steinbruchs hinüber. Er hatte Cocos letzte Worte nicht mehr mitbekommen. Sie tippte ihn mit den Fingern an.
„Dort drüben in den Büschen steckt jemand", sagte der Cro Magnon. „Er beobachtet wie wir das Treiben im Steinbruch. Wir sollten ihn uns einmal ansehen."
„Soll ich mich in einen schnelleren Zeitablauf versetzen?" fragte Coco.
„Nein, das kann ich auch so erledigen. Vielleicht brauchen wir deine Kräfte noch. Komm, Coco! Aber sei vorsichtig!"
Coco und Unga klommen den Berg hinauf und arbeiteten sich durchs Gestrüpp. Dann pirschten sie sich den Hang hinunter, jede Deckung ausnutzend.
Coco war eine vielseitige Frau, die in jeder Lage zurechtkam. Anfang Zwanzig erst, hatte sie schon mehr erlebt, als andere in achtzig oder neunzig Jahren.
Brennesseln wuchsen auf dieser Seite des Steinbruchs. Der Beobachter steckte in einem Gebüsch. Besonders leise brauchten Coco und Unga nicht; zu sein, denn der Lärm des Steinbruchs übertönte jedes Geräusch.
Coco blieb zurück, und Unga näherte sich dem im Gebüsch Versteckten. Jetzt sah er, daß er einen Mann vor sich hatte. Er trug wetterfeste Kleidung und war groß und breitschultrig. Blondes Haar fiel unter seinem Hut hervor.
Als Unga hinter ihm stand, tippte er ihm auf die Schulter. Der breitschultrige Mann, der trotz seiner Größe gegen den riesigen Unga zierlich wirkte, wirbelte herum. Er hatte die Faust zum Schlag geballt. Aber er ließ sie nach der ersten Schrecksekunde gleich wieder sinken und lachte breit.
„Unga", sagte er, „wo kommst du denn her?"
„Dasselbe könnte ich dich fragen, Abi Flindt", sagte der Cro Magnon. „Coco ist übrigens auch hier."
Der Beobachter war der Däne Abi Flindt, ein Mitglied der Besatzung von Castillo Basajaun. Er war mit Dorian Hunter - den er für Richard Steiner hielt - in den Bayerischen Wald
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