1108 - Leichengasse 13
Haut hatte ich die Gesichter aufgemalt gesehen. Fratzen und Gesichter wie sie auch der alte Götze aufzuweisen hatte. Ein Ghoul war er nicht, nur jemand, der unbedingt mehr über die Zeit herausfinden wollte, in der er wieder erwachte. Er war in der Lage, Menschen und andere Kreaturen regelrecht zu verschlingen, um aus ihnen das herauszuholen, was für ihn wichtig war. Ob er tatsächlich vom Planet der Magier stammte, wußte ich nicht genau. Ausgehen mußte ich davon, aber es war unwichtig. Keine Theorie mehr, die Praxis zählte.
Es waren jetzt zahlreiche Fenster erhellt. Auf den beiden Seiten wirkten sie wie helle Augen, die jemand viereckig gemalt hatte. Und es gab diese bedrückende Stille, die auch an mir nicht spurlos vorbeiging. Ich sah sie als Stille nach dem großen Sterben an und spürte mehr als einmal die Kälte über meinen Körper rieseln.
Ich stand nicht lange vor dem Haus, auch wenn es mir so vorgekommen war. Meine Suche galt Fay Waldon. Sie war geholt worden. Ich wollte nicht glauben, daß sie tot war und so aussah wie meine beiden Kollegen. Der alte Götze konnte durchaus etwas mit ihr vorhaben, um sie in seine Pläne einzuspannen.
Das Licht reichte jetzt aus, um auch über die Gasse mit dem Kopfsteinpflaster fließen zu können.
Darauf blieb ein matter Schein zurück. Der Glanz kam mir fahl vor. Er täuschte etwas vor, das es nicht gab.
Noch immer hielt ich mich mitten auf der engen Gasse auf. Ich konnte in beide Richtungen schauen und sah auch die kreisrunden Deckel der Gullys.
Sie lagen noch harmlos da, doch das zu glauben fiel mir schwer. Einmal hatte ich das Gegenteil erlebt. Der alte Götze hatte sich hier ausbreiten können, und sein Reich verteilte sich auch unterhalb der Erde. Er war eigentlich überall und wartete nur auf eine günstige Gelegenheit, um zuschlagen zu können.
Es zeigte sich niemand. Keiner verließ das Haus. Die Menschen wollten nicht wissen, was geschehen war. Oder sie konnten es nicht, weil die andere Kraft sie zurückhielt.
Mutterseelenallein stand ich in der Gasse. Die hohen Hauswände rahmten mich ein. Das Pflaster war dunkel oder schimmerte an einigen Stellen gelblich.
Dann erschienen sie doch. Der Befehl mußte aufgehoben worden sein. Vielleicht waren die Bewohner auch jetzt erst erwacht, aber sie wußten genau, was sie zu tun hatten.
Sie traten an die Fenster.
Hinter den erleuchteten Vierecken sah ich ihre Gestalten. Nie so klar, meist noch verschwommen, aber sie waren da und blickten hinaus. Ich sah Frauen und Männer, alte und junge. Sie wirkten auf mich wie Statisten, die man hergeschafft hatte. Ob sie überhaupt mitbekamen, was sie taten, war schon fraglich. Wenn mich nicht alles täuschte, waren ihre Gesichter leer und ausdruckslos. Ebenso wie ihre Augen. Ich konnte dies genau sehen, weil ich an ein naheliegendes Fenster im Parterre herangetreten war.
Dahinter standen eine ältere Frau und ein jüngerer Mann. Die Frau trug einen Kittel. Es konnte auch ein Nachthemd sein. Ihre Haare umhingen wirr den Kopf. Das Gesicht sah aus wie aus Wachs geformt, und sie hielt die Hände ineinander verschlungen.
Der junge Mann neben ihr - es konnte der Sohn sein - war mit einem Unterhemd und einer kurzen Hose bekleidet. Sie waren beide aus den Betten gestiegen, schauten durch die Scheibe nach draußen, mußten mich auch sehen, doch nichts in ihren Mienen wies darauf hin, daß sie mich überhaupt wahrnahmen.
Sie waren leer. Die Seelen schienen ihnen genommen worden zu sein. Ich ging noch weiter vor, bis ich gegen die Scheibe atmen konnte. Dann bewegte ich meine Hand von links nach rechts, weil ich eine Reaktion provozieren wollte.
Zunächst tat sich nichts. Die Frau blieb noch starrer als der jüngere Mann. Der hob dann beide Arme. Kurz zuvor hatte sich sein Mund in die Breite gezogen. Irgendwie nahm er einen gewissen Anlauf. Er ballte beide Hände zu Fäusten und rammte sie dann vor.
Genau gegen die Fensterscheibe.
Ich sprang zurück, während das Glas zerplatzte. Die Scherben wirbelten mir entgegen. Einige Stücke trafen mich, rutschten allerdings an meiner Kleidung ab.
Als ich stand, starrte ich auf die beiden Fäuste, die sich verändert hatten. Die Scherbenkanten waren in die Haut hineingeschnitten und hatten dort Wunden hinterlassen, aus denen das Blut quoll. Der.
Mann schrie nicht, er stöhnte auch nicht. Er stand einfach nur da und hatte seine Hände zurückgezogen.
Für mich war es der letzte Beweis dafür, daß der hier herrschende Götze es
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