1108 - Leichengasse 13
wissen, was er tat und was er besser bleiben ließ.
Mit den beiden Toten hatte er mich allein gelassen. Ich brauchte nur den Kopf zu senken, um sie zu sehen - und entdeckte, daß sie sich bewegten.
Sekundenlang saß ich regungslos auf dem harten Stuhl. Mir schoß der Begriff Zombie durch den Kopf. Zwei lebende Leichen hätten mir gerade noch gefehlt, aber beim zweiten Hinschauen stellte ich fest, daß nicht sie sich bewegten, sondern der Fußboden ungewöhnlich zitterte und wellte, so daß sich diese Kraft auch auf meinen Stuhl übertrug und der Tisch ebenfalls nicht davon verschont blieb.
Ich wußte, was folgen würde.
Der alte Götze kehrte zurück!
***
Es stand fest, daß es mich nicht glücklich machen konnte, und ich blieb auch keine Sekunde länger sitzen. Der Platz auf dem Stuhl war jetzt der falsche. Chris hatte es mir schon angekündigt, es würde sich etwas tun, und der Anfang war bereits gemacht worden.
Ich wünschte mir für Fay Waldon, daß sie das gleiche Schicksal erleiden würde wie Chris Iron, so daß ich sie schließlich wieder gesund vor mir sah.
Noch veränderte sich die nähere Umgebung nicht drastisch. Aber der Beginn war gemacht worden.
Ich merkte es auch bei den ersten Schritten, als ich mich auf die Wohnungstür zubewegte. Ich wollte nicht mehr zurück in das Schlafzimmer, weil ich auch glaubte, daß der nächste Angriff nicht allein auf diese Wohnung beschränkt blieb, sondern das gesamte Haus erfaßte.
Der Boden bewegte sich jetzt stärker, und es war nicht einfach für mich, die schwankenden Bewegungen auszugleichen. Den Ausgang erreichte ich ohne Schwierigkeiten.
Ich schaute in den Hausflur.
Jetzt hörte ich etwas. Es waren keine menschlichen Stimmen, sondern dumpfer Laut drang aus der ersten oder zweiten Etage nach unten.
Es war für mich der Augenblick der Zwickmühle. Nach oben laufen oder nach draußen gehen!
Ich war mit einem langen Schritt an der Haustür, die halb offenstand. Der Blick auf die Gasse beruhigte mich einigermaßen. Nichts war von dieser qualligen Ghoulmasse zu sehen, und auch die Gullydeckel lagen noch flach auf dem Boden.
Von oben erreichte mich ein lautes Poltern.
Das gab den Ausschlag. Ich fuhr auf der Stelle herum und eilte mit langen Schritten auf die Treppe zu, deren Stufen ich dann mit einigen Sprüngen hinter mich brachte.
In der ersten Etage fand ich den Lichtschalter sehr schnell. Die Helligkeit verdiente den Namen kaum, aber ich sah eine Tür, die offenstand. Sie war nicht normal geöffnet worden. Man hatte sie eingeschlagen. Dicht neben ihr war der Boden aufgebrochen. Um in die Wohnung zu gelangen, mußte ich über ein gezacktes Loch springen. Die Rücksicht des alten Götzen war jetzt vorbei. Er wollte beweisen, wer hier der wahre Herrscher in der Leichengasse war.
Die Umgebung war noch recht dunkel. Ich strahlte mit der Lampe hinein. Der helle Lichtfinger war wie eine Säge, die das Dunkel einfach zerschnitt. Der Lichtkegel wanderte über einen Fußboden hinweg und zeichnete den rostigen Streifen in einem grauen Teppich nach. Eine kleine Holzwand hielt ihn auf. Es war das untere Ende eines Doppelbetts.
Bisher hatte ich nichts mehr gehört, doch das änderte sich sehr bald. Leise, jammernde Laute ließen mich noch vorsichtiger werden. Ich hörte zwei verschiedene Stimmen, die miteinander flüsterten, und ließ dann den Lichtstrahl höher wandern. Er strich über ein Bett hinweg, in dem zwei Menschen lagen.
Ein Mann und eine Frau!
Beide standen unter großem Druck und hatten Angst. Sie hielten sich umklammert, hatten aber die Oberkörper und die Köpfe leicht angehoben, zwinkerten mit den Augen, weil sie vom Lichtstrahl der Lampe geblendet wurden.
Ich war überzeugt, ein Ehepaar vor mir zu haben, und beide Personen wirkten wie Eisfiguren. Sie konnten mich schwerlich sehen und ahnten nur, daß jemand an der Tür stand.
»Wer sind Sie?« flüsterte die Frau. Sie trug eine Schlafhaube und mußte ihr Gesicht vor dem Zubettgehen eingecremt haben, denn die Haut schimmerte noch fettig.
»Keine Sorge, ich bin Polizist.«
»Was? Wie?«
Ich trat einen Schritt in das Zimmer hinein. »Ich möchte nur von Ihnen wissen, was geschehen ist.«
»Es ist da«, sagte der Mann.
»Was ist da, bitte?«
»Wir wissen es nicht, Mister. Wir leben hier mit der Angst, aber wir können nicht weg. Etwas hat sich zwischen uns gedrängt. Es hat die Tür zerstört…«
»Was haben Sie gesehen?« unterbrach ich ihn.
»Nichts. Kaum etwas. Wir konnten nichts
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