1115 - Die Tränen des Toten
Shao.«
»Können Sie ein Auto lenken?«
»Ja, kann ich.«
»Ich nehme den Schlüssel mit. Sie müßten einen BMW fahren.«
»Habe ich noch nie!«
»Sie werden es lernen. Außerdem sitze ich neben Ihnen. Da ist alles halb so schlimm.«
Überzeugt war Kabito noch nicht. Er verzog jammervoll das Gesicht. »Gibt es denn keine andere Möglichkeit?«
»Nein.«
»Und wenn man Sie im Haus sieht?«
»Wir fahren mit dem Lift bis in die Tiefgarage.«
»Ach ja.«
Suko passierte ihn auf dem Weg zur Wohnungstür und winkte ihm dabei zu. Kabito schnappte noch seine Jacke und ging gebückt hinter ihr her, als lastete eine schwere Bürde auf seinen Schultern.
»Vielleicht warten sie schon vor der Tür auf uns«, flüsterte er.
»Das werden wir sehen. Treten Sie etwas zurück.«
Kabito gehorchte sofort. Shao war vorsichtig. Sie schloß die Tür von innen auf, hatte wenig später freie Bahn und schaute nach links und rechts in den Flur hinein.
Es war alles ruhig. Niemand wartete auf sie. Auch kein Hausbewohner ließ sich blicken.
»Was ist?«
»Wir können gehen, los kommen Sie.«
Noch immer sehr ängstlich, schlängelte sich der Japaner aus der Wohnung. Seine Angst blieb, obwohl niemand auf die beiden wartete. Shao ließ ihn vorgehen. Der Lift lag auf der anderen Seite.
Auch Shao hatte es eilig, denn sie wollte nicht, daß ihr irgendwelche Hausbewohner über den Weg liefen.
Sie erreichten den Lift, der leider nicht oben war. Er mußte erst geholt werden.
Die Zeit verstrich für die beiden sehr langsam. Kabito trat unruhig von einem Fuß auf den anderen.
Er atmete schwer. Er räusperte sich immer wieder und flüsterte die Sätze in seiner Heimatsprache.
Im Gegensatz zu ihm verhielt sich Shao ruhig. Sie wußte, daß sie nichts machen konnte, denn der Lift gehorchte der Technik und nicht ihrem Willen.
Endlich war er da. Zugleich öffnete sich links von ihnen und weiter hinten eine Wohnungstür. Eine ältere Frau trat hinaus, die einen Einkaufswagen hinter sich herzog. Sie schaute sich automatisch um, das tat sie wohl immer, und sie entdeckte auch Shao und ihren Begleiter. Bevor sie begreifen konnte, was sie da zu Gesicht bekam, war die Tür des Lifts aufgeschwungen, und Shao war mit einem schnellen Schritt innerhalb der Kabine verschwunden.
»Kommen Sie!«
»Ja, gut.«
Wieder stolperte der Mann an ihr vorbei. Suko hatte bereits auf den beleuchteten Knopf gedrückt, der dafür sorgen sollte, daß sie in die Tiefgarage gebracht wurden. Sie hoffte nur, daß niemand den Lift zwischendurch anhielt, um einsteigen zu wollen.
Die Tür schloß sich wieder. Es gab den üblichen kleinen Ruck, dann glitt die Kabine in die Tiefe, und auch das Sichtfenster verschwand aus ihrem Blickbereich.
»Was meinen Sie?« fragte Kabito flüsternd, »schaffen wir es?«
»Ich denke schon.«
»Und dann?«
»Das wissen Sie doch. Wir fahren zum Yard. Ich denke, daß Sie dort vorläufig in Sicherheit sind.«
»Nein, Shao, nein. Man kann vor ihnen nicht in Sicherheit sein. Sie sind einfach zu stark und zu mächtig. Sie werden mich überall finden, auch im letzten Winkel der Welt.«
»Falls sie dazu noch kommen.«
»Unterschätzen Sie den Dunklen Schrecken nicht. Einer wie er ist aus der Hölle zurückgekommen, und er ist noch stärker geworden, das weiß ich genau.«
»Es gibt welche, die sich ebenfalls wehren können.«
»Aber ich mich nicht.«
»Deshalb bin ich ja bei Ihnen.«
Es gab einen kleinen Ruck. Nur etwas stärker als bei der Anfahrt in die Tiefe. Die Bewegung erfolgte plötzlich, und Kabito geriet etwas aus dem Gleichgewicht.
Er freute sich trotzdem. »Endlich da!« flüsterte er.
Den Schritt zur Tür sparte er sich, denn er hatte schon Shaos Kopfschütteln gesehen.
»Wie? Nicht…?«
»Nein.«
»Verdammt, was ist denn…«
Shao ging vor und trat an das Sichtfenster heran. Es war mehr lang als breit, und sie konnte einen Blick durch die Scheibe nach draußen werfen.
»Wo sind wir denn?« rief Kabito. Er hatte Mühe, seine Stimme unter Kontrolle zu halten.
»Das weiß ich nicht genau. Ich denke, zwischen der fünften und sechsten Etage. Aber eines steht fest. Wir beide stecken fest…«
***
Der Japaner wollte es nicht glauben. Er schaute Shao mit einem Blick an, in dem Wut, Verzweiflung und Unglauben lagen. »Nein, das glaube ich nicht. Das ist unmöglich. Sie… Sie… wollen mir hier Angst einjagen.«
»Bestimmt nicht!«
Er riß seinen Mund weit auf. Ein wirrer Schrei tobte durch die Kabine. Es war das
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