1118 - Zwischen Himmel und Hölle
Wochen war er mit seinem Sohn im Kino gewesen. Im Film »Matrix«. Da war etwas Ähnliches passiert. Durch das Aufeinandertreffen der normalen und der virtuellen Welt war die Zeit ebenfalls aufgehoben worden, und deshalb hatten sich die Phänomene ergeben können.
Und hier?
Ich bin nicht im Kino, dachte er. Verdammt, ich befinde mich in der Realität. Und trotzdem ist es gelungen, die Zeit zu manipulieren. Er konnte es nicht fassen. Obwohl die Zeit wieder normal fortschritt, kam er sich noch immer wie manipuliert vor, und erst die Stimme des Wahrsagers riss ihn wieder aus seinen Gedanken.
»Habe ich Ihnen nicht gesagt, dass ich schneller bin als eine Kugel. Wer das ist, der ist zugleich auch schneller und besser als ein Mensch, Mr. Conolly. Das sollten Sie einsehen.«
Der Hellseher streckte seine zur Faust geschlossene Hand langsam vor und dem Reporter entgegen. Mit einer ebenso langsamen Bewegungöffnete er die Faust, so dass Bill auf seine Handfläche schauen konnte.
Dort lag die Kugel!
Das geweihte Silbergeschoss aus der Beretta glänzte matt. Es war um keinen Deut verändert. Es war nicht deformiert. Der andere hatte es tatsächlich im Flug gefangen, wie einen locker zugeworfenen Ball.
Veritas drehte die Hand. Die Kugel rutschte an der Haut entlang und landete mit einem hellen »Pling« auf dem Boden. »Das ist meine Wahrheit«, sagte der Hellseher. »Die einzige, die es gibt, Conolly, merken Sie sich das. Eine Wahrheit, die irgendwo zwischen Himmel und Hölle liegt. In der Zukunft, in der Gegenwart, in der Vergangenheit? Ich denke nicht groß darüber nach, doch all die Begriffe, die ich Ihnen genannt habe, stehen mit der Zeit in Verbindung. Und ich beherrsche sie. Ich bringe zwei Welten zusammen…«
»Matrix!« flüsterte Bill.
»Was sagten Sie?«
»Nein, schon gut.«
»Sie sind verunsichert. Ich sehe es Ihnen an. Machen Sie sich nichts daraus. Es gibt unzählige Menschen, die mit mir als Phänomen nicht zurechtkommen, doch sie müssen mich hinnehmen, denn ich existiere nun einmal.«
»Als Hellseher?« Bill hatte die Frage ungläubig gestellt.
»Ja, damit verdiene ich mein Geld. Aber ich arbeite auch hin und wieder ohne Honorar. Für die Polizei, zum Beispiel. Ich habe Freunde unter den Polizisten.«
»Dann sind es wohl die falschen«, sagte Bill.
»Warum? Weil ich ihnen half, gefährliche Verbrecher zu fangen? Nein, sie sind mir dankbar. Nur gibt es einige Personen bei Ihnen, denen meine Mitarbeit nicht passte. Die mehr wissen wollten. Ihre Freunde Sinclair und Suko. Sie waren einfach zu neugierig. Sie hätten mich in Ruhe weitermachen lassen sollen. Aber das taten sie nicht. Sie wollten herausfinden, was mit mir los ist, und damit haben sie sich mich zum Feind gemacht. Da ich weiß, dass Sinclair nicht allein arbeitet und Freunde hat, sind seine Freunde auch meine Feinde. So ist das. Sie können es Sippenhaft nennen, das spielt bei mir keine Rolle. Um in Ruhe weiterhin arbeiten zu können, muss ich nicht nur Sinclair und Suko aus dem Weg schaffen, sondern auch seine Freunde. Bei einer Freundin habe ich es geschafft. Sie, Ihre Frau, und auch Ihr Sohn werden folgen, und ganz zum Schluss werde ich mich um Sinclair und Suko kümmern. Dann sind sie schon fertig mit der Welt, denn dann haben sie schon erleben müssen, dass es ihnen nicht möglich gewesen ist, ihre Freunde zu retten, deren Bewusstsein irgendwo zwischen Himmel und Hölle verschollen ist.«
Es war eine lange Rede gewesen. Bill glaubte ihm jedes Wort. Er hatte sich damit abgefunden, und als er einen Blick auf die bewegungslose Sheila warf, da wurde ihm auch die eigene Hilflosigkeit wieder vor Augen geführt.
Wie sollte er jemand stoppen, der es schaffte, die Zeit zumanipulieren?
»Wollen Sie es noch einmal versuchen und auf mich schießen?«
»Nein, es hat wohl keinen Sinn.«
»Gut, dass Sie das einsehen. Es hat tatsächlich keinen Zweck. Ich werde immer besser sein als Sie. Ich bin Ihnen in allen Belangen überlegen. Es gibt keine Menschen, die mir Paroli bieten können.«
Bill wartete verzweifelt auf seinen Freund Sinclair. So weit konnte die Strecke von Lady Sarah bis zu ihm nicht sein. Er musste erscheinen, aber es gab auch die Tücken der Großstadt. Leicht konnte er in einen Stau hineingeraten.
»Was haben Sie mit Sheila gemacht?«
»Was denken Sie denn?«
»Ich weiß es nicht.«
»Überlegen Sie doch!«
»Sie… sie ist nicht tot …?«
Veritas lächelte. »Ich könnte die Frage bejahen und hätte nicht einmal
Weitere Kostenlose Bücher