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112 - Der tägliche Wahnsinn

112 - Der tägliche Wahnsinn

Titel: 112 - Der tägliche Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Behring
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zuließe.
    Übrigens haben die Eltern ihr neues Kind nicht nach mir benannt. Ob es jetzt aber daran lag, dass es ein Mädchen war, weiß ich nicht. Jedenfalls fühlte ich mich nach diesem Einsatz etwas dehydriert, auch wenn die Kollegen vom Löschfahrzeug keinen Wassersauger in der Wohnung unter dem «Not-Kreißsaal» einsetzen mussten.

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    Kapitel 2 Alkohol ist keine Lösung
    Als Rettungsdienstler dringt man in die Lebensbereiche verschiedenster Bevölkerungsschichten ein. Und zwar nicht wie ein Besucher, für den noch das Bad geputzt und der Tisch hübsch eingedeckt wird, sondern ganz ungeschminkt, in einer Momentaufnahme, die nichts versteckt. Manchmal tun sich dabei Abgründe auf, die man so eigentlich nicht sehen will: Verwahrlosung, Armut, Dreck, psychologische Dauernotstände, Gleichgültigkeit. Und wenn man dann einmal vor dem Scherbenhaufen einer solch hoffnungslosen Existenz steht, ist das ganz anders als in den gescripteten Reality-Dokus, die im Nachmittags-Verblödungsprogramm der Privatsender ausgestrahlt werden. Mitleid leiste ich mir in diesen Fällen selten (jedenfalls nicht bei Erwachsenen), denn wenn man die Gründe vernimmt, die für das kaputte Leben verantwortlich sein sollen, fallen einem oft Beispiele aus dem eigenen Umfeld ein, Verwandte, Freunde, Bekannte, die das Gleiche erlebt haben – und trotzdem nicht im Elend versunken sind. Kausalketten wie «Viel gearbeitet – Frau (Mann) geht fremd – Alkohol – Frau (Mann) trennt sich – mehr Alkohol – Job weg – nur noch Alkohol» hört man oft, sind aber keine zwangsläufige Konsequenz, sondern in meinen Augen eher eine Ausrede, diesen Kreislauf nicht durchbrechen zu müssen. Es sind die Kinder, die in solchen Familien großwerden, die mir grundsätzlich leidtun. Die Eltern sind hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt, und die Kinder wachsen auf wie der Brombeerstrauch an der Hofmauer: Man kümmert sich nur darum, wenn er stört, und sonst darf er wuchern, wie er will. Da kann man froh sein, wenn es in einem problematischen Haushalt keine Kinder gibt, die mit in das Desaster hineingezogen werden.
    Ich hatte Dienst mit Manfred. Der Tag war bisher ruhig verlaufen, nur zwei Krankentransporte – im Gegensatz zu Rettungstransporten werden diese ohne Alarm gefahren – hatten unsere alltäglichen Aufgaben wie Gerätekontrolle, Medikamentenbestellungen und Fahrzeugdesinfektion unterbrochen. Gerade wollten wir unsere «Bereitschaftszeit» beginnen, da bekamen wir einen Alarm mit dem Allerweltsstichwort: « HP Intern», also einem nicht näher bezeichneten internistischen Notfall. Wir besetzten den Rettungswagen und fuhren mit Sondersignal los. Manni, der Optimist, sah in dem Zeitpunkt des Alarms auch Vorteile: «Immerhin sind wir mit der Arbeit fertig geworden, und das Abendprogramm hatte noch nicht angefangen.»
    Vor einem heruntergekommenen Altbau hielten wir an, nahmen unser Equipment und stiegen die Holztreppe in den zweiten Stock hinauf. Der Mann, zu dem mein Kollege und ich gerufen wurden, teilte sich eine Wohnung mit seiner Schwester und ihrer Tochter. Ärmlich, spartanisch, aber annehmbar.
    Die Schwester, die uns angerufen hatte, empfing uns an der Wohnungstür und führte uns zum Zimmer des Patienten. Im Gegensatz zum Rest der Wohnung herrschte hier allerdings das nackte Elend.
    Der Raum, den er seit Wochen anscheinend nur verließ, um Glühwein in Tetrapaks und Schnaps zu holen, war eigentlich unbewohnbar. Wenn man ein derartiges Zimmer noch nicht selbst gesehen hat, kann man es sich nur schwer vorstellen: in der Mitte die Trümmer eines Couchtischs, der kürzlich wohl unter der Last des Halt suchenden Alkoholikers zusammengebrochen war, an der Wand ein Bett, die Matratze durchweicht von frischen und alten Exkrementen, Siff, erbrochenem Blut und Glühwein, auf dem Boden eine große Pfütze des gleichen Mixes. Überall lagen leere Tetrapakkartons und Schnapsflaschen herum, seitlich vom Bett stand eine klebrig aussehende Kommode mit einem stumpf schimmernden Fernseher darauf, und mittendrin, auf der durchnässten Matratze, mit nackten Füßen im eigenen Erbrochenen, saß der Patient, Baujahr 87 , im mit Urin und Mageninhalt verdreckten Trainingsanzug. Mit seinen dreiundzwanzig Jahren hatte er eigentlich das ganze Leben noch vor sich.
    Der Mann war reichlich abgefüllt mit Alkohol und Beruhigungsmitteln und erbrach unter anderem auch Blut. Auf mehrfache Ansprache reagierte er kaum, schaute uns nur aus verquollenen

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