112 - Der tägliche Wahnsinn
Großstadt, um hauptberuflich das zu tun, was ich jahrelang als begeistertes Hobby betrieb.
Heute bin ich auf einer kleinen Nebenwache eingeteilt und mache hauptsächlich Dienst auf einem Löschfahrzeug oder einem Rettungswagen. Das Löschfahrzeug, abgekürzt LF , ist das Rückgrat einer Feuerwehr. Die Ausstattung ermöglicht nicht nur eine umfassende Brandbekämpfung, sondern es werden auch viele Geräte und Werkzeuge für technische Hilfeleistungen aller Art mitgeführt. Dadurch ist das Einsatzspektrum, für das dieses Fahrzeug eingesetzt werden kann, sehr breit. Der Rettungswagen, kurz RTW , sorgt wiederum für medizinische Hilfe und den schnellen Transport bei lebensbedrohlichen Notfällen. Dass dieser Zweck vielen Menschen nicht ganz klar ist, musste ich oft genug – so auch in einigen der hier gesammelten Begebenheiten – erleben.
Um meine Kollegen nicht zu verraten, habe ich auch deren Namen geändert. Ihre Zahl ist recht überschaubar – und in ihrem jeweiligen Charakter sind sie unverwechselbar:
Manfred ist ein Mensch, der gern die anliegende Arbeit vor sich herschiebt und möglichst «minimale Lösungen» anstrebt, damit er mehr Zeit für seinen privaten Kram hat. Im Einsatz kann man aber durchaus etwas mit ihm anfangen – wenn man seine Qualifikationen berücksichtigt, die aufgrund des Mehraufwands, der nun einmal mit Lehrgängen verbunden ist, sehr überschaubar sind.
Kevin hingegen ist sehr bemüht, kann prima kochen (was auf einer Feuerwache einen enormen Beliebtheitsvorsprung verschafft) und werkelt bei der täglichen Arbeit ohne Murren vor sich hin. Er hat ein gesteigertes Harmoniebedürfnis, weswegen er möglichst allen Konflikten aus dem Wege geht. Ab und zu ist er allerdings etwas döselig und muss dann sehr genaue Anweisungen erhalten, damit etwas Sinnvolles bei seiner Arbeit herauskommt.
Des Weiteren ist da noch Dieter. Ein Feuerwehr-Urgestein, schon nahe der Pensionierung. Er hat in seinem Leben viel gesehen und ist dementsprechend pragmatisch, manchmal wirkt er deswegen wohl rau und gefühlskalt. Das ist aber nur Oberfläche. Dieter ist auf der Wache der väterliche Kollege, der stets ein offenes Ohr hat, wenn ein jüngerer Kollege ein Problem bei der Verarbeitung eines Einsatzes hat.
Steffen ist ebenfalls ein äußerst erfahrener Kollege, fast so erfahren wie Dieter. Allerdings ist er der Meinung, dass er aufgrund seiner vielen Dienstjahre keine Fehler mehr macht, weshalb immer andere Schuld haben, wenn etwas schiefgeht. Man muss ihm aber zugutehalten, dass seine Einschätzung meistens stimmt. Steffen kann sehr aufbrausend sein, wenn man ihn ärgert, daher muss man ihn zur Vermeidung einer Beschwerde manchmal im Einsatz etwas einbremsen.
Und dem Wachführer gebe ich lieber erst gar keinen bestimmten Namen. Er ist unser Herbergsvater, Anstaltsleiter, einfach der Chef. Das ist bei der Feuerwehr so: Chef bezeichnet oft nur den nächsthöheren Vorgesetzten. Der Amtsleiter der Feuerwehr müsste nach dieser Logik der Chef-Chef-Chef sein.
Am Ende dieses Buches wird der Leser vielleicht einen etwas tieferen Einblick in unsere Arbeit haben. Feuerwehr ist nicht jeden Tag hochdramatisch, aber auch nicht nur belanglos. Es ist der abwechslungsreichste Job, den ich mir vorstellen kann. Und dafür liebe ich ihn.
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Kapitel 1 «Heizt die Betten an! Ich will jetzt raus!»
Es scheint ein Mythos zu sein, dass man mehr oder weniger regelmäßig Kinder im Rettungswagen zur Welt bringt. Menschen, die in der Rettung tätig sind, werden oft nach dramatischen Einsätzen mit viel Blut, zerknautschten Autos und schreienden Menschen gefragt, gleich danach aber nach Notfallgeburten. Jedoch ist eine Geburt im Rettungswagen oder mit Hilfe des Rettungsdiensts in der häuslichen Umgebung sehr selten; in den meisten Fällen schafft man doch noch den Transport ins Krankenhaus. Routinierte Mehrfachmütter, wie wir sie nennen, fahren oft rechtzeitig in einem Taxi mit dem werdenden Vater oder allein in die Klinik, und bei den nervösen Erstgebärenden ziehen sich die Wehen häufig so lange hin, dass die eine oder andere Schwangere auch schon mal des Kreißsaals verwiesen und auf einen späteren Termin vertröstet wurde. Von daher bleibt man nach einigen Dienstjahren recht gelassen, wenn ein entsprechendes Alarmstichwort auf dem Piepser erscheint.
So war es jedenfalls bei mir, als ich mit einem «Schwangerenalarm» konfrontiert wurde. Ich dachte mir: Es passiert sowieso nichts, es bleibt nichts
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