112 - Der tägliche Wahnsinn
später an unserem Hosenbund klingelten, kannten wir: Kolpingstraße 16 . Es war die erste Adresse, die wir in der Nacht zuvor vergeblich angefahren hatten. Aber vielleicht war die Ehefrau diesmal anwesend und konnte weiterhelfen. Tatsächlich wurde uns auf unser Läuten hin geöffnet. Die Frau wirkte völlig in Ordnung. Sie sagte, nachdem wir ihr von den vergangenen Vorkommnissen erzählten: «Ach je, der ist in letzter Zeit so durcheinander, wissen Sie. Das liegt an den Medikamenten, die er gegen sein Alzheimer und sein Parkinson nehmen muss. Da halluziniert er schon mal. Ist kaum noch auszuhalten mit ihm, wir haben auch nur wenig Kontakt. Der wurde sogar gewalttätig, hat mich geschlagen! Ich habe das nicht mehr ausgehalten und mich von ihm getrennt.» Sie machte sich nun aber doch Sorgen und meinte, sie wolle ihren Mann gleich anrufen und nach dem Rechten hören.
Wir fuhren also in die Ottostraße. Wieder öffnete Herr Schöller uns in seinen Motorradklamotten, wieder bat er uns herein. «Ich habe schon auf Sie gewartet», meinte er. Die Sofaecke mit dem Plüschfrauentorso schien dies übrigens auch getan zu haben, jedenfalls waren die Kissen wieder nett drapiert und mit der Wolldecke halb zugedeckt.
«Schön, dass Sie so schnell kommen konnten», fuhr der Mann fort. «Ich glaube, hier stimmt was nicht. Wissen Sie, es ist ziemlich seltsam, wenn man mit seiner Frau telefoniert, die man neben sich sitzen sieht.»
Ich seufzte. Der Mann tat mir mit seinen Halluzinationen leid. Nochmals baute ich «seine Frau» auseinander und räumte das Sofa ordentlich auf.
Nachdem wir ihn überzeugt hatten, dass er wirklich mit seiner Frau telefoniert hätte, die auch wohlauf sei und nicht auf dem Sofa sitzen würde, sah er ein, dass er wohl doch sofort (und nicht erst «so bald wie möglich») einer neuen Behandlung bedurfte. Er versprach uns, noch an diesem Morgen den Neurologen aufzusuchen.
Endgültig Einsatzende.
Übrigens: Der Herr besitzt einen gültigen Führerschein und einen Pkw. Meistens fährt er aber auf seiner Suzuki GS 500 E herum.
Jetzt wissen Sie bestimmt, warum ich meinen Beruf so liebe.
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Über Ingo Behring
Ingo Behring, geboren 1971, wuchs in einer Kleinstadt in Ostwestfalen auf, wo er im Alter von 12 Jahren in die Freiwillige Feuerwehr eintrat. Heute arbeitet er im Ruhrgebiet bei der Berufsfeuerwehr.
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Über dieses Buch
Flammen schlagen aus dem Fenster, mit quietschenden Reifen hält das Löschfahrzeug vor dem Haus, harte Männer in martialisch aussehender Kleidung laufen mit der Axt in die brennende Wohnung – und kommen kurze Zeit später mit einem Kind auf dem Arm wieder heraus. So sieht Feuerwehralltag in Hollywoodfilmen aus. Tatsächlich besteht die Arbeit eines Feuerwehrmannes aus zahlreichen kleinen Einsätzen, die zwar wenig spektakulär sind – dafür aber an Kuriosität oft kaum zu überbieten. So werden Ingo Behring und seine Kameraden etwa alarmiert, weil ein verwirrter Mann hilflos in seiner Badewanne steht, da er beim nächtlichen Klogang die Tür mit dem Fenster verwechselt hat, oder weil in der Stadt eine orientierungslose Entenfamilie gesichtet wurde – und fünf Männer in voller Montur dürfen daraufhin versuchen, die an hüpfende Tennisbälle erinnernden Küken einzufangen.
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Impressum
Rowohlt Digitalbuch, veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Mai 2013
Copyright © 2013 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages
Redaktion Regina Carstensen
Umschlaggestaltung ZERO Werbeagentur, München
(Fotonachweis: © Thorsten Wulff)
Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved.
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ISBN Buchausgabe 978-3-499-61989-2 (1. Auflage 2013)
ISBN Digitalbuch 978-3-644-48741-3
www.rowohlt-digitalbuch.de
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