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112 - Der tägliche Wahnsinn

112 - Der tägliche Wahnsinn

Titel: 112 - Der tägliche Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Behring
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das das Herz, wenn es mal ein wenig unorganisiert herumalbert, freundlich, aber bestimmt durch einen Stromstoß wieder vernünftig an die Arbeit bringt. Für den Patienten ist das nicht besonders angenehm, aber lebensnotwendig: Ein Stromschlag von einem eingebauten Defibrillator ist vergleichbar mit einem Pferdetritt. Das Gerät ist nicht zu verwechseln mit einem implantierten Schrittmacher, der permanent einen kleinen Impuls ans Herz abgibt, um es zu stimulieren. Diesen Minimalpuls spürt der Träger nämlich nicht.
    Wir fuhren mit Einsatzhorn durch den Berufsverkehr.
    «Was meinen die eigentlich mit ‹Defi löst aus›?», fragte Kevin. «Ist das jetzt ein Herzinfarkt? Und wenn ja, warum hat die Leitstelle dann keinen Arzt mitgeschickt?»
    «Auf unserem Alarmschreiben steht, dass der Anrufer die Person ist, um die es geht», erwiderte ich. «Ich nehme an, dass jetzt keine Rea auf uns wartet. So schlimm wird sich das am Telefon wohl nicht angehört haben.»
    An der angegebenen Adresse, nicht weit von der Wache entfernt, wurde auf unser Klingeln hin wortlos der Türsummer gedrückt. Wir stiegen die knarzenden Holztreppen nach oben in den ersten Stock, dort stand auch eine Wohnungstür offen.
    «Hallo? Feuerwehr!», rief ich, während wir ohne besondere Einladung den Flur betraten.
    «Hier, im Schlafzimmer», ertönte die Antwort aus dem hinteren Bereich der Wohnung. Dort lag eine etwa fünfundzwanzigjährige Frau, die mir bekannt vorkam, ohne Decke in einen cremefarbenen Frottébademantel gehüllt auf dem Bett und blickte starr und ängstlich an die Zimmerdecke.
    «Was ist denn los?», fragte ich, nachdem ich den Notfallkoffer neben das Bett gestellt und mich daraufgesetzt hatte. Wenn man sich hinsetzt, strahlt das Ruhe aus und vermittelt den Eindruck, dass man sich Zeit nimmt. Durch dieses Signal werden die Patienten sogleich etwas ruhiger.
    «Vor etwa einem Jahr hatte ich eine Herzoperation», begann sie zu erzählen. «Seitdem habe ich auch einen Defi, und der spinnt jetzt wohl rum. Und vor etwa …» Jetzt hörte man ein leises Piepsen, ihre Stimme war nur noch ein Wispern: «Oje, jetzt geht das schon wieder los … AUA !» Das war wohl der kleine Rettungskasten mit dem Pferdetritt.
    «Vor etwa zwei Stunden fing das an», erklärte sie weiter, nachdem sie sich wieder etwas erholt hatte. «Ich traue mich gar nicht mehr aufzustehen. Alle paar Minuten fängt es an zu piepsen, und dann … AUA ! … Mann, das tut weh! Der Defi muss sicher neu eingestellt werden, das ist doch nicht normal, dass ich immerzu einen Schlag bekomme.»
    «Haben Sie schon einmal daran gedacht, dass der Defi vielleicht gar nicht kaputt ist, sondern Sie schockt, weil Ihr Herz im Moment ein Problem hat?», fragte ich.
    Schnell waren wir uns einig, dass sie in eine Kardiologie musste, um genau das zu ergründen. Während Kevin zum Auto ging, um die Trage vor die Haustür zu stellen und das Tragetuch zu holen, wollte ich dann doch wissen, warum die Frau mir so bekannt vorkam: «Darf ich Sie was fragen? Wurden Sie schon einmal reanimiert?»
    «Ja», antwortete sie zögerlich und etwas irritiert. «Ich habe daraufhin den Defi bekommen.»
    Ich lächelte in mich hinein. «Im Akazienweg, bei einer Freundin, nicht wahr?»
    «Richtig. Woher wissen Sie das?», fragte sie erstaunt.
    «Ich habe damals auf Ihnen herumgedrückt», erklärte ich nicht ohne Stolz. «Hoffentlich haben wir Ihnen keine Rippe gebrochen. Das passiert nämlich schon mal bei einer Reanimation, weil man eine ganz schöne Gewalt auf das Brustbein ausübt.»
    Der nächste Stromschlag in ihr Herz unterbrach die Plauderei. Bevor Kevin zurückkehrte, sagte mir die Patientin noch, in welcher Schublade des Nachtschranks ich den Implantationsausweis des Defibrillators finden würde, in dem alle technischen Daten des bei ihr eingesetzten Gerätes standen.
    Kevin, der den Raum mit dem Tragetuch unter dem Arm betreten hatte, sagte: «So, und jetzt stehen Sie bitte auf und setzen sich auf das Tuch, damit wir Sie runtertragen können.»
    «Aber ich kann doch selbst laufen», protestierte sie.
    Da war ich anderer Meinung: «Und wenn Sie auf der Treppe einen Schock bekommen, haben wir neben dem Herzproblem noch ein chirurgisches, sollten Sie stürzen. Und ich dann noch eines mit meinem Chef. Nee, lassen Sie mal, da tragen wir Sie lieber schön im Tuch. Ist auch besser für das Herz, wenn es nicht so angestrengt wird.»
    Das leuchtete ihr ein.
    Nachdem wir die Frau im Auto hatten, schloss ich das

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