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112 - Der tägliche Wahnsinn

112 - Der tägliche Wahnsinn

Titel: 112 - Der tägliche Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Behring
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ihr?» Er forderte telefonisch das Löschfahrzeug der Nachbarwache an, mit dem uns eine solche Kamera, die auf ihrem Monitor unterschiedliche Oberflächentemperaturen in verschiedenen Grautönen darstellt, gebracht werden sollte. Sein Gedanke war nicht verkehrt gewesen, wie sich später herausstellte.
    «Wir gehen zurück, um die Kollegen einzuweisen und etwas Löschgerät zu holen. Ingo, halt du hier die Stellung. Nicht dass das Feuer noch ausgeht, wenn keiner guckt», witzelte der Wachführer und verschwand mit Kevin und Manfred durchs Gebüsch.
    Jetzt stand ich alleine im Wald. Neben mir die gelangweilt vor sich hin kokelnde Humusschicht, vor mir eine grandiose Aussicht auf die Ruhr und die Auen bei strahlendem Sonnenschein. Den Schaufelstiel hatte ich unter mein Kinn geklemmt. Hummeln summten, Vögelchen zwitscherten, dreißig oder vierzig Meter unter mir rauschten die Autos auf der Hauptstraße entlang, der Duft von Löschknecht-Arbeit wehte von der verbrannten Fläche herüber. Ich nahm den Helm ab, ließ mir die Sonne ins Gesicht scheinen und erfreute mich an all den Dingen um mich herum. Zugleich hatte ich aber auch etwas Zeit, darüber nachzudenken, was eine Spaziergängerin weit abseits des Wegs im Unterholz zu schaffen hatte. War ihr Hund dorthin gelaufen? Genoss sie wie ich das Panorama? Oder traf sie auf der Lichtung immer heimlich ihren Lover? Das alles war schon sehr merkwürdig.
    Während ich auf die Rückkehr der Kollegen wartete, loderte hier und da ein Flämmchen auf, das ich vorsichtig mit der Schaufel ausdrückte. Ich sollte die Brandfläche schließlich möglichst unberührt lassen, damit sie richtig beurteilt werden konnte. Denn Glut verbreitet sich auch im trockenen Waldboden, ohne dass man an der Oberfläche etwas davon sieht. Schaufelt man einfach unkontrolliert Erde hin und her, kann man zwar auf diese Weise das eine oder andere Glutnest finden und löschen, andere Nester werden aber von kalter Erde nur überdeckt – und das Feuer schwelt unentdeckt weiter. Die Glut hatte jetzt immerhin mehrere Tage Zeit gehabt, sich in die Humusschicht zu fressen. Als Folge der unvollständigen Löscharbeiten würden wir dann womöglich mitten in der Nacht nochmals von einem späten Spaziergänger ins Unterholz geschickt.
    Nach einer gefühlten Ewigkeit in entspannter, sonniger Atmosphäre tauchten die Kollegen wieder auf. Vorneweg unser Häuptling, dahinter der Amtsträger der Nachbarwache mit der Wärmebildkamera und als Nachhut Manfred und Kevin mit einer Kübelspritze. Das ist ein zehn Liter fassender Wasserkübel mit einer handbetätigten Pumpe, die wir zum Beispiel zum Löschen brennender Mülleimer und Kochtöpfe oder zum Wecken fauler Praktikanten verwenden. Nun fing der Leithammel der Nachbarwache eifrig damit an, durch die Kamera den Ort des Geschehens zu begutachten. Und musste feststellen, dass die Lage nicht ganz so einfach war wie zunächst gedacht: «Kratz mal da vorne was weg, da ist es hell in der Kamera», wies er mich an. «Nee, weiter links. Oh …» Gebannt schaute er auf die vom verbrannten Laub und Humus freigeräumte Stelle am Waldboden. Das «Oh» verhieß nichts Gutes. Tatsächlich kam unter der Oberfläche eine weitläufige heiße Schicht zutage, die sich jetzt hell und deutlich auf dem Monitor der Kamera abzeichnete. Der Entschluss unseres Wachführers, der seinem Kollegen während des ganzen Prozedere über die Schulter geschaut hatte, war schnell gefasst: «Da brauchen wir ordentlich Wasser. Nicht nur die zehn Liter aus der Kübelspritze. Wir machen jetzt mal eine Wasserparty. Alles andere hat gar keinen Zweck. Hier müssen wir klotzen, nicht nur kleckern.»
    Der Kollege mit der Kamera zog nachdenklich seine Stirn in Falten, während er über das steile Gelände blickte: «Da musst du aber noch Verstärkung anfordern», sagte er schließlich. «Mit unseren sechs Männern brauchen wir ewig, um die dreihundert Meter Schlauch querfeldein zu legen.»
    «Stimmt», bestätigte unser Wachführer. «Schläuche haben wir ja auch noch nicht genügend vor Ort. Ich bestelle am besten eine weitere Löschgruppe nach.»
    Gesagt, getan. Wieder zog unser Chef sein Handy aus der Tasche und rief die Zentrale an, um weitere Kräfte anzufordern. Als zwei Löschfahrzeuge und etwa zehn Mann eintrafen, konnte die Brandbekämpfung endlich losgehen. Während die Kollegen im Schweiße ihrer Füße damit anfingen, die Wasserdärme aus den Autos zu holen und den Waldweg entlangzuziehen, durfte ich weiter

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