112 - Der tägliche Wahnsinn
EKG -Kabel an. Auf dem Transport in die Klinik löste der Defi noch zweimal einen Stromschlag aus, und auf dem EKG -Monitor konnte man deutlich den Grund dafür sehen: Ihre Herzfrequenz wurde immer wieder zu schnell. Hatte das Herz eine gewisse Pulsfrequenz erreicht, brachte das kleine Implantat die Angelegenheit mit einem Stromschlag für ein paar Minuten wieder in Ordnung. Im Grunde war es die gleiche Ausgangssituation wie bei unserem ersten Treffen, nur dass es dieses Mal dank des kleinen Kästchens in ihrer Brust weitaus weniger dramatisch verlief.
«Seien Sie froh, dass der Apparat das macht, was er tun soll», sagte ich. «Auch wenn es für Sie gerade sehr unangenehm ist. Im Krankenhaus wird man es schon wieder richten.» Dank des Defibrillators hatte sie immerhin die Chance, dort lebend anzukommen.
Noch lange musste ich an diese Patientin denken. Schreckliche Szenarien hatte ich mir in meiner Phantasie ausgemalt, und jetzt hatte ich bei unserer Wiederbegegnung erlebt, dass es ihr im Verhältnis sogar recht gut ging. Von dieser Reanimation zehre ich noch heute, denn sie zeigt, dass es für einige Menschen eine zweite Chance bedeuten kann, wenn jemand schnell genug anfängt, richtig zu handeln, und sich an seinen Erste-Hilfe-Kurs erinnert. Es ist jedes Mal deprimierend, wenn eine solche Chance verschenkt wird.
Und falls Sie selbst einmal in die Lage geraten, einen Kreislaufstillstand zu beobachten, sollten Sie beim Wiederbeleben immer «Staying alive … Staying alive
…
» singen. Dieser alte Bee-Gees-Hit hat genau die Taktfrequenz, in der man auf den Brustkorb drücken sollte.
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Kapitel 20 Schnitzeljagd bei der Feuerwehr
Dass die Arbeit bei der Feuerwehr zum Naturerlebnis werden kann, erfahren wir in der Großstadt selten. Trotzdem gibt es auch in ihr einige schöne Ecken, die direkt idyllisch anmuten. Und wenn man an diesen einen kleineren Hilfeleistungseinsatz hat, bei dem im Grunde nicht viel auf dem Spiel steht, kann man die Umgebung sogar genießen. Übungsfahrten mit dem Feuerwehrboot auf Flüssen sind zum Beispiel sehr schick, und bei Krankentransporten in Hochhauswohnungen hat man manchmal einen atemberaubenden Blick über die Stadt, während man auf die Patientin wartet, die sich Socken und Zahnbürste für den Aufenthalt in der Klinik zusammensucht. Der folgende Brandeinsatz war streckenweise sogar fast schon ein Kurzurlaubserlebnis:
Es war an einem Sommertag, der genauso warm und trocken war wie die vorherigen Tage in einer Schönwetterperiode. Am Nachmittag hatten wir eine der besagten Übungsfahrten mit dem Boot absolviert. Da Kevin demnächst an einem Bootsführerlehrgang teilnehmen sollte, wollte ihm Manfred, der bereits den Sportbootführerschein besaß, einiges zeigen: Anlegen, Ablegen, Einüben von Wendemanövern und das Kontrollieren des Fahrwassers auf neue Hindernisse. Sollte nachts ein Einsatz mit dem Alarmstichwort «Person im Wasser» kommen, weil irgendein angetrunkener Auengrillmeister beim Pinkeln in den Fluss gefallen war, musste schließlich jeder Handgriff sitzen, auch im Dunkeln. Und das Wetter lud förmlich zu dieser Übungsstunde ein.
Nachdem wir wieder auf der Wache waren und einen von Einsätzen unbehelligten Restnachmittag mit Unkrautzupfen auf dem Hof verbrachten, ertönten gegen Abend die Glocken aus den Wachlautsprechern: «Bing-Bong-Boing!» Das Alarmlicht flackerte auf, und aus den Hoflautsprechern erklang die Stimme der Zentrale: «Einsatz für das Löschfahrzeug. Flächenbrand. Wachführer bitte Leitstelle anrufen!»
Beginnt ein Einsatz mit einer derartigen Aufforderung, kann es nichts Alltägliches sein. Für einen Zimmerbrand oder einen Verkehrsunfall sind keine näheren Erläuterungen durch die Leitstelle nötig. Da fährt man einfach zur genannten Adresse hin, macht sich vor Ort ein Bild der Lage und handelt entsprechend. Soll aber der Wachführer vor dem Ausrücken Rücksprache mit unserem Callcenter halten, ist immer etwas Krummes auf der Liste. Entsprechend wenig überrascht waren wir, als unser Löschzugführer nach dem Telefonat meinte, wir würden ohne Blaulicht zum Einsatzort fahren.
«Und was sagte der Kollege von der Leitstelle?», fragte ich.
«Der gab mir zu verstehen, es habe eine Frau über Notruf angerufen.» Unser Chef winkte uns gelassen zum Löschfahrzeug. «Sie habe erklärt, würde man die Waldstraße runterfahren, ginge rechts ein Wanderweg ab. Nach ein paar hundert Metern würde eine Bank auftauchen, dort
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