112 - Monster im Prater
„Das, mein Freund, müssen Sie sich schon selbst ansehen. Wenn ich’s
hier draußen im Bild vorstellen oder beschreiben würde, wären nachher die
Plätze im Innern der Bude leer. Das, verehrte Damen und Herren, kann ich mir
nicht erlauben ...“ Er rollte nicht nur das r sehr stark, sondern auch seine
Augen und zwirbelte, während er auf der Bühne hin- und herging, immer wieder
die Enden seines prächtigen Bartes. „Ich bin auf die Eintrittsgelder
angewiesen. Das Monster frisst mir die Haare vom Kopf...“
Viele
Umstehende lachten über den Scherz. Auch Andreas Wibbert und Marlene schlossen
sich dem Pulk vor der Zeltbude an, um zuzuhören.
„Mehr,
Herrschaften, kann ich Ihnen nicht erklären. Kommen Sie ... sehen Sie ...
staunen Sie!“, schloss Perkush seine Einladung an die Zuhörer. „Lösen Sie Ihre
Eintrittskarte! In wenigen Minuten beginnt die Vorstellung ... Ich selbst werde
Sie zunächst durch einen Anbau führen, in dem sie - ausgestopft und präpariert
- einige Monster besichtigen können, ehe ich mein Prachtstück auf die Bühne
führe. Aber schon jetzt müssen Sie mir versprechen, über alles, was Sie nachher
in meinem Zelt sehen und hören werden, strengstes Stillschweigen zu bewahren.
Das ist unerlässlich, Herrschaften! Nur wer bereit ist dies zu versprechen, ist
herzlich eingeladen. Zu einem, der das Monster noch nie gesehen hat, darf er
kein Wörtchen sagen ... Versprochen?“
Beifallheischend
und leicht den breiten, muskulösen Oberkörper nach vom gebeugt, starrte er ins
Publikum. „ Versprochen!", brüllten einige lautstark. Perkush deutete auf
die Kasse, die ihre Pforten geöffnet hatte.
„Nur zwanzig
Schilling Eintritt pro Person! Jugendliche unter achtzehn Jahren ist der
Zutritt ohne Begleitung der Eltern verboten, Herrschaften! Auch zartbesaitete
Naturen sollten - darauf muss ich leider hinweisen - den Besuch der Vorstellung
unterlassen. Nervenzusammenbrüche und Schreikrämpfe können auftreten. Nur dem,
der starke Nerven hat, kann ich den Besuch empfehlen ... Die anderen sollten es
sich reiflich überlegen.“
Perkush
verstand sich auf die Psyche seiner Zuhörer. Keiner wollte als feige gelten und
nicht über starke Nerven verfügen. Der Mann erreichte mit seiner Warnung genau
das Gegenteil. Teils amüsiert, teils nachdenklich drängelten sich die Leute an
der Kasse. Wibbert wurde unwillkürlich wieder an Meixners Beobachtungen
erinnert und auch daran, weshalb er heute eigentlich noch mal zum Prater
gekommen war. Das hatte er fast vergessen ...
Er wollte
versuchen, etwas über Thomas Meixners Schicksal herauszufinden. Die persönliche
Bekanntschaft mit Perkush und nun noch die Begegnung mit Marlene füllten sein
Denken und Fühlen fast völlig aus. „Was hältst du denn von der Sache?“, fragte
seine neue Begleiterin und riss ihn aus dem Nachdenken.
„Ich weiß
nicht so recht.“
„Ist doch
alles Theater, sag ich dir“, winkte sie ab. „Aber komisch: obwohl man’s ahnt
oder weiß - neugierig ist man doch ...“
„Wahrscheinlich
weiß man’s erst, wenn man die Vorstellung gesehen hat.“
„Mich zieht’s
seltsamerweise auch rein“, bestätigte sie. „Aber zwanzig Schilling, die möchte
ich eigentlich nicht dafür ausgeben. Bin sowieso ziemlich abgebrannt.“
„Ich gehe
auch rein, Marlene, und nehme dich mit. Der Besuch wird uns beide keinen
Schilling kosten ...“
„Wieso denn
das?“
„Ich kenne
den Besitzer.“ Während er die Begleiterin bei der Hand nahm und sich aus dem
Gedränge schob, um auf die Treppe nach oben zu gelangen, erzählte er ihr von
dem Angebot, bei dem Unternehmen künftig mitzureisen. An der Kasse saß eine
hagere Frau, die das strähnige Haar im Nacken zusammengebunden hatte und die
roten Eintrittskarten verkaufte. Die Frau war sicher eine Aushilfskraft, die in
der Zeit, während Perkush seinen Stand im Prater hatte, zu seiner Verfügung
stand. Schließlich reiste er in dem kleinen Wagen allein, wie er selbst erzählt
hatte. Es gab nur einen Eingang, an dem Perkush jeden Besucher einzeln begrüßte
und ihn aufforderte, gleich bis zur Bühne im Innern der Zeltbude zu gehen und
sich dort aufzustellen. Wie ein Fremdenführer wollte der Ungar dann sein
Publikum durch den Anbau geleiten und einiges dazu erläutern. Der Anbau... in
den Thomas Meixner in der vergangenen Nacht eingedrungen war. Nun konnte jeder
ihn sehen. „Ah, mein junger Freund Andreas!“, freute sich Perkush, als Wibbert
vor ihm auftauchte. „Nett, dass du
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