112 - Monster im Prater
vorbeischaust, mein Junge.“
„Sie hatten
mich eingeladen und ...“
„Aber
selbstverständlich. Geh nur rein. Es geht gleich los.“
„Ich habe
jemand getroffen, eine alte Freundin ... Kann ich sie mit hineinnehmen?“
„Gar keine
Frage. Ihr seid beide meine Gäste.“
Marlene
freute sich und folgte ihrem neuen Freund, war froh über diese Abwechslung und
gespannt darauf, was es hier wirklich zu sehen gab. Hinter der aufgeklappten
Zeltplane herrschte eine schummrige Atmosphäre. Nur eine Handvoll Lampen, die
mit blauen und roten Filtern versehen waren, spendeten spärliches Licht. Zu
erkennen waren die einfachen Holzbänke, die wie Zinnsoldaten hintereinander
standen.
Die Bänke standen
auf dem nackten Boden. Vorn war eine Bühne und direkt
daneben ein Durchlass, vor dem die Leute sich versammelten. Ungefähr achtzig
Sitzplätze hatte die kleine Zeltbude. Und es waren auch gut und gern achtzig
Leute, die durch die reißerische Propaganda Istvan Perkushs neugierig geworden
waren. Wie vereinbart blieben sie vor der Verbindungstür, die geschlossen war,
stehen, bis der Ungar kam. Perkush besaß den Schlüssel dazu. Zusammen mit dem
letzten Interessenten betrat Istvan Perkush die Zeltbude. Er verschloss die Tür
hinter sich, damit niemand mehr ohne sein Wissen eintreten konnte, zog die
Zeltplane vor und kam dann mit schnellen Schritten auf die Wartenden zu. Ein
schmaler Zugang war frei geblieben, so dass Perkush ohne Mühe bis zur
Verbindungstür kam. Dies alles war schon anders als alle anderen Vorführungen,
die Andreas Wibbert und die meisten Anwesenden bei ähnlichen Veranstaltungen
bisher miterlebt hatten. Die Zuschauer saßen anfangs nicht auf den Plätzen. Das
Programm begann mit einer Führung. Perkush betrat als erster den Monster-Stall,
wie Thomas Meixner vergangene Nacht scherzhaft den Anbau bezeichnete. „In
dieser Ausstellung, meine verehrten Damen und Herren“, erklärte Perkush in
seiner harten Sprechweise, „kriegen Sie fast alles zu sehen, was in irgendeiner
Form auf unserer Erde in monsterhafter Form auftritt.“ Der Anbau war, wie das
Zelt dahinter, in geisterhaftes Halblicht getaucht. An den Bretterwänden
entlang, die unterhalb des Zeltdaches begannen, zogen sich lange Tische, auf
denen gläserne Schaukästen und Terrarien standen. In ihnen waren präparierte
Schlangen, gefährliche Insekten und allerlei sonstige Tiere zu sehen, die jedes
auf seine Weise bei dem einen oder anderen ein unbehagliches Gefühl erweckte.
Schlangen gehörten dazu. Und eine ganze Familie kleiner schwarzer Spinnen. Die
Schwarzen Witwen ...
Sogenannte
Ochsenfrösche waren zu sehen, riesige Exemplare ihrer Gattung, die aufgespießt
oder hockend auf hölzernen Sockeln zur Schau standen. In einer Truhe lag ein
ausgestopfter Alligator, im Maul ein halbes, präpariertes Wasserschwein, das er
hatte verschlingen wollen. Wahrscheinlich war er in diesem Moment durch den
Schuss eines Jägers getötet worden oder bei seiner Mahlzeit erstickt, weil der
Bissen etwas zu groß für ihn war. Fledermäuse einer besonderen Gattung - groß
und beängstigend, wie sie in den Urwäldern Südamerikas vorkamen - hingen an
dünnen Fäden in der Luft über den Köpfen der Zuschauer, die sich unwillkürlich
duckten. Besonderes Interesse fand eine aus Tierhaut und Original-Knochenfunden
zusammengeflickte Flugechse, die mit einer Flügel-Spannweite von acht Metern
fast die ganze Breite des Anbaus füllte. Das spitze, längliche Maul mit den
dolchartigen Zähnen war wie ein Speer schräg nach unten gerichtet, als würde es
jeden Augenblick auf einen der unten stehenden Menschen herabstoßen. Die
lebensechte Darstellung war bewunderungswürdig und erschreckend zugleich. Wahrscheinlich
war auch das Halblicht, die schummrige, hauptsächlich grün und rot beleuchtete
Umgebung mit Schuld daran, dass diese gänsehauterzeugende Wirkung aufkam.
Allgemeine Schreckensschreie - vor allem bei den Frauen - entlockte ein
riesiger Menschenhai, der aufrecht stehend vor einem drei Meter hohen Pflock
den Vorbeiflanierenden die weiße Bauchdecke entgegenstreckte. Das riesige Tier
wirkte in der Tat beängstigend, wie es da hing, das Maul mit den Zahnreihen
weit aufgerissen. Und das Maul war nicht leer ...
Istvan
Perkush oder wer immer der Sammler dieses gruseligen Panoptikums der Natur war,
hatte wirklich ausgefallene und interessante Dinge entdeckt und
zusammengestellt. Aus dem Maul des Hais ragte ein menschliches Bein, das dieser
Räuber der Meere seinem
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