112 - Monster im Prater
einem
Kabel befestigte Lampe wurde in die Tiefe des zweiten Schachtes hinabgelassen,
in der der Arbeiter Franz Sokowa vor einigen Tagen spurlos verschwand. Ebenso
spurlos wie - bislang die fünf Frauen ...
Waren sie ihm
auf eine rätselhafte, bisher nicht geklärte Weise gefolgt oder wirkte die
gespenstische Kraft aus der unauslotbaren Tiefe des Schachtes wie ein
Katalysator, der andere Menschen ins Verderben führte, irgendwohin ins
Unbekannte, wo sie nicht mehr auftauchten? So eine Art Bermuda-Dreieck im
Herzen der Donaumetropole? Auch diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Larry
Brent, Spezialagent der PSA, wusste aus Bereichen, in denen sie sich bewegten,
dass nichts unmöglich war. Die Welt der geheimen Mächte und des
Außergewöhnlichen war immer für Überraschungen gut. Er musste auch daran
denken, was Anton Sachtler ihm über eine andere mögliche Bedeutung der Schächte
und unterirdischen Kammern gesagt hatte. In der Mitte des 17. Jahrhunderts
erlebte Wien eine der schlimmsten Perioden seiner wechselhaften und an Aufregungen
nicht armen Geschichte. Die Pest ging um. Tausende und Abertausende kamen ums
Leben. Die Seuche verbreitete sich derart schnell, dass nicht mehr genügend
Helfer vorhanden waren, um die Leichen in den Straßen abzutransportieren.
Anfangs wurden sie noch gesammelt und auf Karren in Massengräber gefahren. Dann
vereinfachten die Verantwortlichen das System. In der Stadt wurden überall
riesige Gruben ausgehoben, in die man die Pestleichen kurzerhand warf. Wenn
eine Grube gefüllt war, wurde sie zugeschüttet und eine neue ausgehoben. Der
Gedanke, dass es sich dabei um eine solche Grube handelte, die nie genutzt,
später zugeschüttet und vergessen wurde, war nicht mal so absurd. Aber das
allein war es nicht. Hier hatte sich eine Kraft etabliert, die sie alle in der
letzten Nacht zu spüren bekamen und die sich manchmal auch in Form von Stimmen
äußerte. Auf Larrys Verlangen war eine hundert Meter lange Strickleiter
herangeschafft worden, die zusammengerollt in der Ecke des kahlen,
unterirdischen Verlieses lag. Die Leiter bestand aus extrem dünnem Material, so
dass sie verhältnismäßig wenig Platz in Anspruch nahm. Sie wurde dreifach an
Haken gesichert. Dann waren die beiden Polizisten dem Agenten behilflich, die
Leiter in die Tiefe zu lassen. Sobald die Strickleiter völlig aushing, wollte
Larry Brent Sprosse für Sprosse in die unbekannte Tiefe Vordringen. Starke
Scheinwerfer waren auf den Schacht gerichtet, in den bequem ein Mensch steigen
konnte, ohne mit den Schultern an den Rändern anzustoßen. Der Schacht war
gemauert und damit künstlich geschaffen worden. Es war nicht ausgeschlossen,
dass irgendwann jemand beim Ausheben der Grube dieses Loch gefunden hatte und
sich etwas dabei dachte, als er die Wände auszumauern begann. Ein zusätzlicher
Zufluchtsort für Menschen, die sich vor der Pest - oben in der Sonne - derart
fürchteten, dass sie es vorzogen, sich wie die Maulwürfe in die Erde zu graben,
um der schrecklichen Seuche zu entgehen? Alles, was er bisher hier unten erlebt
hatte, ließ den Schluss zu, dass die Kräfte auf eine furchtbare Situation in
vergangenen Tagen zurückzuführen waren, dass durch die Abbruch- und
Umbauarbeiten etwas befreit worden war, was unter normalen Umständen nie ans
Tageslicht getreten wäre. War es ein Fluch, ein Bann, der in diesen finsteren
Kellerräumen neu erweckt worden war? Larry begann seine Klettertour. Als er in
den Schacht einstieg, deckte er damit das Licht der Scheinwerfer ab. Unter ihm
gähnte tief und schwarz der Abgrund. Die Leiter war voll ausgefahren, aber
X-RAY-3 konnte und wollte einfach nicht glauben, dass der Schacht in
Wirklichkeit so tief hinabreichte. Nach Sachtlers Darstellung war jeglicher
Auslotversuch bisher gescheitert. Und hier setzten erneut seine Zweifel an. Ein
derart tiefer Kamin mitten im Herzen von Wien war einfach nicht vorstellbar.
Der PSA-Agent vermutete eher, dass sie alle einer Täuschung zum Opfer gefallen
waren. Es wäre dann nicht die einzige Täuschung. Letzte Nacht, wo ihr
Zeitgefühl völlig auf den Kopf gestellt worden war, hatte sie sich in einer
anderen Version gezeigt. In Gedanken zählte er die Sprossen mit, die er nach
unten stieg. Jeweils vier bedeuteten etwa einen Meter. Sein Kopf tauchte unter
den Rand der Schachtöffnung. X-RAY-3 war von der sicheren Gewissheit erfüllt,
dass er hier in der Tiefe das Geheimnis entdeckte, oder diesem zumindest auf
der Spur war. Es war, als folgte er
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