1121 - Wenn Totenmasken leben...
sich mein Vater zurückgezogen hatte, was er Bingham auch mitteilte, wollte dieser es nicht glauben. Er hatte einfach zu lange mit meinem alten Herrn zusammengearbeitet. Als stellvertretender Leiter des Völkerkunde-Museums hat ihm mein Vater große Dienste erwiesen. Er ist der eigentliche Kenner der Masken. Er kann bestimmen, aus welchem Land sie kommen. Er ist überhaupt der Experte. Sein Rat war gefragt, und er hat auch immer gern gearbeitet. Das steht fest.«
»Bis zu dem Tag, an dem er plötzlich verschwand.«
Ein starrer Blick traf Jane. »Woher wissen Sie das?«
»Bingham sagte es mir. Für ihn waren die Umstände des Verschwindens mysteriös.«
»Für ihn schon…«
»Für Sie nicht?«
Montego winkte ab. »Ich kenne ihn besser, und ich habe zudem viel von meinem Vater gelernt. Alles, was ich über die Masken und deren Hintergründe weiß, das hat er mir beigebracht. Er ist schon ein Genie gewesen, aber er hatte seinen eigenen Kopf.«
»Er zog sich zurück.«
»Genau das tat er.«
»Warum?«
Alan Montego presste die Lippen zusammen. Er sah Jane an, aber er blickte zugleich durch sie hindurch, wie jemand, der sich die Vergangenheit wieder zurückholen will. »Mein Vater war seltsam«, sagte er schließlich, »Und das ist er auch zu mir gewesen. Ich habe zwar viel von ihm gelernt, aber ein so vertrauensvolles Verhältnis wie es zwischen Vater und Sohn hätte sein sollen, hat es zwischen uns nie gegeben. Beruflich harmonierten wir perfekt, privat wusste ich nicht viel über ihn. Auch meine Mutter kenne ich nicht. Ich war zwei Jahre alt, als sich meine Eltern scheiden ließen. An meine Mutter habe ich nicht einmal eine Erinnerung. Er hat immer davon gesprochen, dass ich sein Nachfolger werden sollte. Bis zu einem gewissen Grad habe ich es geschafft. Ich bin auch Maskenexperte, aber ich werde niemals so gut sein wie er es ist.«
»Warum warf er alles hin?«
»Er wollte nicht mehr.«
»War er schon so alt?«
»Nein, das nicht. Gerade mal Sechzig. Aber er hatte sich aufgerieben. Auch in der Zusammenarbeit mit Bingham. Mein Vater wollte endlich sein eigenes Leben führen, um sich um sein Hobby kümmern zu können.«
Die Bemerkung erstaunte Jane. »Moment mal, Alan, waren nicht die Masken sein Hobby und Beruf zugleich?«
»Richtig. Nur müssen Sie wissen, dass das Gebiet der Masken sehr vielfältig ist. Es gibt da zahlreiche Arten und Verwendungszwecke. Es gibt auch Totenmasken, und darum wollte sich mein Vater kümmern. Das war sein eigentliches Hobby. Das Herstellen von Totenmasken, und dem konnte er sich nun voll hingeben.«
»Ja, Sie werden lachen, das verstehe ich sogar, Alan. Ich wundere mich nur, dass er sich zurückgezogen hat. Hätte er seinem Hobby nicht auch hier in London nachgehen können?«
»Das wollte er nicht. Er wäre zu schnell greifbar gewesen.«
»Deshalb hat er sich zurückgezogen?«
»Ja.«
Als Jane das Lächeln des Mannes sah, war ihr klar, dass Alan ihr nicht alles erzählt hatte, und sie sagte es ihm auf den Kopf zu. »Sie haben mir das Wichtigste verschwiegen, Alan.«
»Oh was meinen Sie damit?«
»Sie haben mir verschwiegen, wo sich Ihr Vater aufhält. Ich bin sicher, dass Sie es wissen. Ich kann mir auch vorstellen, dass Sie hin und wieder noch Kontakt zu Ihrem Vater haben. Nur wollen Sie anscheinend nicht darüber reden.«
»Sie sind gut.«
Jane winkte ab. »Hören Sie mit diesen allgemeinen Bemerkungen auf. Ich habe den Auftrag, Ihren Vater zu finden. Ich weiß nicht, was Bingham von ihm will. Es kommt auf Sie an, Alan, ob ich diesen Job beenden kann oder nicht.«
»Beenden Sie ihn jetzt schon.«
»Ach, das dachte ich mir. Sie wollen mir also nicht helfen?«
»Es liegt nicht an mir, sondern an Bingham. Was will er von ihm? Weshalb will er ihn sehen?«
»Sorry, aber das hat er mir nicht gesagt.«
Alan Montego schaute Jane kurz an. »Komisch, aber ich glaube Ihnen sogar.«
»Es kann doch nichts Schlimmes sein.«
Montego strich mit, einer Hand über eine der hängenden Masken.
»So gut bin ich über das Verhältnis der beiden nicht informiert. Es gab Streit zwischen ihnen, aber das ist zwischen Fachleuten durchaus normal, denk ich mir. Man sollt es auch nicht so tragisch nehmen. Ich habe es auch nicht getan.«
Jane hatte genau zugehört, und ihr war auch ein gewisser Unterton nicht entgangen. Jetzt hakte sie nach und fragte: »War der Streit mit Bingham eigentlich der einzige Grund für den Rückzieher Ihres Vaters, Alan?«
Montegos Augen verengten sich.
Weitere Kostenlose Bücher