1121 - Wenn Totenmasken leben...
können.
Vor einer Maske blieb sie länger stehen. Sie wusste, dass der Gast, dem sie abgenommen worden war, nicht mehr lebte. Er war vor einigen Wochen verstorben. Trotzdem fand sie sich nicht mit seinem Tod ab. Sie sah ihn in der Maske vor sich und erinnerte sich haargenau an sein eigentliches Aussehen.
Walter Penn. Ein großer, stattlicher Mann. Ein Witwer, der in der kleinen Pension seinen Urlaub verbracht hatte. Er war sehr rüstig gewesen und stets gewandert. Er hatte das Meer und die Küste geliebt. Abends hatten sie oft zusammen vor dem Haus gesessen und über alle möglichen Dinge gesprochen, auch über den Tod. Walter hatte zugestimmt, sich die Totenmaske abnehmen zu lassen, und nun hing sie hier.
Jolanda hängte die neue Maske in ihrer Nähe auf, bevor sie sich wieder Walter zuwandte. Ihn hatte sie besonders gemocht, und auch sie war ihm nicht gleichgültig gewesen.
»Ich weiß«, flüsterte sie und hob dabei ihre Arme, »ich weiß, dass du mich nicht verlassen hast, Walter. Du bist noch da. Ich spüre es. Ich habe dein Leben in der Maske erhalten, und das tut mir so gut wie sonst nichts. Ich habe es geschafft. Den Tod konnte ich überwinden, denn du bist trotzdem bei mir geblieben.«
Sehr behutsam nahm sie die Maske ab. Sie bestand aus Gips. Sie war nicht weiß oder totenbleich, denn Conrad hatte sie mit einem hautfarbenen Anstrich bedacht. So ähnelte sie mehr einem Gesicht als einer Totenmaske.
Jolanda Juffi hielt sie vor sich. Ihr Blick traf die leeren Augenhöhlen. Da sie sich etwas gedreht hatte, konnte das Flackerlicht einiger Kerzen über das Gesicht gleiten und huschte hinein in die leeren Höhlen.
Waren sie zuvor noch leer gewesen, so hatte sich dies jetzt verändert. Durch das Licht war Leben in die leeren Augenhöhlen gelangt.
Der Tod war nicht mehr wichtig. Das Licht huschte in den Tunnel.
Es flackerte. Es drang tief, tief in das Innere, als wollte es demonstrieren, dass der Tod endgültig überwunden war.
Auch auf der Vorderseite tat sich etwas. Die harte Gipsschicht weichte auf. Zumindest kam es Jolanda so vor. Die Starre hatte die Maske verlassen. Sie bewegte sich. Der Mund, die Nase reagierten auf den Kerzenschein, und der Ausdruck in ihrem Gesicht wechselte beinahe von Sekunde zu Sekunde.
Jolanda atmete heftig. Sie fühlte sich in ihrem Element. Jetzt war sie den Toten sehr nah. Sie konnte sie spüren. In ihrer Nähe glitten sie vorbei. Es waren die kalten Grüße aus dem Jenseits, und sie hörte auch die Stimme, die winselnd durch den Raum glitt.
Tief holte sie Luft und drehte sich Conrad Montego zu. »Hörst du?« fragte sie und lachte dabei auf. »Hörst du sie klagen?«
»Ja.«
»Und du wolltest mir nicht glauben.« Sie lachte laut auf und hängte die Maske wieder an ihren Platz. »Aber ich weiß es besser, viel besser als du. Es gibt sie noch. Es ist alles so wunderbar. Ich habe den Weg zwischen dem Leben und dem Tod gefunden. Es ist wie ein Kanal, der das Diesseits mit dem Jenseits verbindet.« Sie tänzelte zur Seite und hatte Glück, dass ihr Kleid dabei kein Feuer fing. »Das ist das Ziel«, sagte sie und flüsterte jedes Wort scharf. »Genau das habe ich gewollt. Durch die Masken den Kontakt mit dem Jenseits bekommen. Mir ist es gelungen, mir…« Wäre sie Tarzan gewesen, sie hätte sich gegen die Brust geschlagen. So aber starrte sie ihren Helfer an, der noch immer den Toten festhielt.
»Was sagst du?«
»Ich… ich …«
»Du hältst mich für schlimm, wie?«
Conrad Montego überlegte. »Ich weiß nicht, für was ich dich halten soll. Aber du bist nicht normal. Vielleicht hat der Teufel in dir ein Opfer gefunden, das ist alles möglich. Und ich bin auf dich hereingefallen.«
»Bereust du es?«
Montego war ehrlich und sagte: »Ja, ich beginne es zu bereuen. Ich gebe zu, dass ich von dir und deinen Plänen fasziniert gewesen bin. Du hast es geschafft, meinem Leben noch einmal einen Kick zu geben. Aber jetzt möchte ich nicht mehr. Du bist ein Mensch, Jolanda. Du kannst nicht Gott spielen.«
»Das habe ich auch nicht vor.«
»Es beruhigt mich trotzdem nicht. Was willst du dann?«
»Lernen, kennen, wissen!« flüsterte sie. »Den Kontakt zur anderen Welt haben.«
»Das haben schon viele versucht.«
»Ich weiß.«
»Nur wenigen ist es gelungen.«
Sie warf die Hände hoch. »Aber ich gehöre dazu. Mir ist es gelungen. Ich habe die Macht, denn ich bin etwas Besonderes. Heute ist ein besonderer Tag, Conrad. Für mich, für dich ebenfalls. Ich will dir
Weitere Kostenlose Bücher