1123 - Der Terror beginnt
konzentrierte mich auf das Grab. Noch ein paar Minuten wollte ich im stillen Gedenken hier verharren.
Ich hatte vor, an meine Eltern zu denken, doch mir kam immer wieder das Gesicht meines Vaters in den Sinn.
Er war tot, und es hatte nach seinem Tod Ereignisse gegeben, die für mich auch im nachhinein noch nicht richtig zu begreifen waren. Nun aber war etwas Neues hinzugekommen. Ich hatte von einem Unheimlichen mit einer Kettensäge geträumt, der das Gesicht meines Vaters hatte. Was war da geschehen? Ich wußte auch sicher, daß mein Vater keinen Zwillingsbruder hatte. Das Erscheinen der Gestalt mußte also einen anderen Grund gehabt haben.
Welchen?
Ich kam nicht weiter, da mir schlichtweg die Voraussetzungen dafür fehlten. Ich wußte nur, daß diese Traumgestalt auch in Wirklichkeit existierte.
Der Gärtner war weder zu hören noch zu sehen. Allein und in der Stille stand ich vor dem Grab.
Nein, nicht mehr still.
Auch nicht allein, denn jemand hielt sich in der Nähe auf. Sehr deutlich vernahm ich das Geräusch der verdammten Kettensäge…
***
Das waren wieder die Augenblicke, in denen ich das Gefühl hatte, allmählich einzufrieren. Dieses Singen, Jaulen und gleichzeitige Brummen hatte mich aus meiner Andacht hervorgerissen und wieder zurück in die rauhe Wirklichkeit katapultiert.
Ich vergaß das Grab, ich vergaß meine verstorbenen Eltern, denn nun war nur er wichtig.
Daß es zu einer weiteren Begegnung kommen würde, damit hatte ich ja gerechnet. Nur nicht, daß es so schnell sein würde. Andererseits hatte es auch seine Vorteile. Da war es mir vielleicht möglich, einen Schlußstrich zu ziehen.
Ich sah die Gestalt nicht.
Ich hörte nur dieses widerliche Geräusch, das wie eine schräge und schrille Musik über die Gräber und deren Steine und Kreuze hinwegwehte und meine Nerven malträtierte. Es war auch kaum festzustellen, aus welcher Richtung es mich erwischte, aber die Stimme, die nach dem Verstummen der Säge aufklang, bildete ich mir nicht ein.
»Da bist du ja wieder, John. Wie schön. Bist du traurig?«
Ich schwieg. Ich wollte mich nicht provozieren lassen. Aber ich stellte mir eine Frage. War das die Stimme meines Vaters gewesen? Nein, bestimmt nicht. Andererseits hatte sie sich auch hallend angehört, als wäre sie aus einer Schlucht gedrungen.
Auf der Stelle drehte ich mich im Kreis. Aber ich sah nur Bäume, Büsche, Gräber, auch die Mauer, nicht aber den verdammten Kettensäge-Mann.
»Zeig dich endlich!«
Ich hörte ihn wild lachen. »Warum, John? Du kennst mich. Du hast mich schon gesehen.«
»Nicht lange genug. Es war zu dunkel und zu neblig. Ich möchte den Kampf gern fortsetzen.«
»Gegen deinen Vater?«
Worte, die mir zu schaffen machten. Ich schrak zusammen, und ich merkte, wie mir das Atmen schwerer fiel.
Verflucht, er war nicht mein Vater. Mein Vater war tot. Er lag vor mir unter der Erde, und das rief ich dem anderen auch zu und setzte noch etwas nach. »Du kannst es nicht sein, verflucht. Es ist alles anders. Nichts entspricht der Wahrheit.«
»Doch, ich entspreche ihr.«
Ja, das wußte ich. Leider bildete ich mir seine Existenz nicht ein. Ich hätte es gern getan, doch er hatte es geschafft und war aus meinen Träumen herabgestiegen, um mich auch im normalen Wachzustand zu quälen. Wieviel Macht besaß diese Gestalt? Und wer stand hinter ihr, um sie zu lenken?
Es gab keine weiteren Personen mehr auf dem Gelände. Wir waren allein. Auch der Gärtner hatte sich längst zurückgezogen, und auf Hilfe konnte ich nicht rechnen.
Ich ging einige Schritte zur Seite, um einen besseren Blick zu erhalten. Es war schon ungewöhnlich zu hören, daß mich mein Vater ansprach, der eigentlich vor mir im Grab lag oder liegen mußte.
Dieser Teufel mit der Kettensäge trieb seinen Schabernack mit mir. Es konnte auch sein, daß er nur auf eine günstige Gelegenheit wartete, um zuzuschlagen.
Die Grabsteine, vor denen ich stehenblieb, waren nicht so hoch. Trotzdem bekam ich kaum mehr Blickfreiheit. Um diese Jahreszeit war das Gelände einfach zu stark bewachsen. Da konnte der Unbekannte zahlreiche Verstecke finden.
Ich kam mir momentan ziemlich rat- und auch hilflos vor, obwohl ich die Beretta gezogen hatte.
Aber geweihte Silberkugeln hielten ihn nicht auf, er war einfach zu stark. Er konnte seine Existenz wechseln. Er erschien mir in den Träumen und auch als reale Gestalt, zudem mit dem Gesicht meines toten Vaters. Aber mein Vater hatte anders ausgesehen, und er hatte auch nie
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