1123 - Der Terror beginnt
für ein Gefühl habe?«
»Nein, woher denn?«
»Daß wir uns noch einmal wiedersehen.« Sie lachte mich jetzt an. »Der Kuchen ist noch nicht gebacken«, erklärte sie. »Keine Angst.«
»Die habe ich sowieso nicht.«
»Dann ist es ja gut.«
Zwei Tassen Kaffee hatte sie getrunken, bestellte aber nichts mehr nach. Dafür warf sie einen Blick auf die Uhr.
»Wird es Zeit für dich?«
»Ja.«
»Gut. Ich werde mich bald auch auf die Socken machen.«
»Nach Norden?«
»So ist es.«
»Na denn.«
Sie stand auf, und auch ich erhob mich. Wir traten beide an die Seite des Tisches heran, um uns zu verabschieden. Nora umarmte mich. »Sei vorsichtig und gib auf dich acht«, flüsterte sie mir ins Ohr, bevor sie mich auf die Wange küßte.
»Klar, wird gemacht.«
Sie drehte sich aus meinem Griff, ging zur Tür, warf mir von dort noch eine Kußhand zu und war verschwunden. Ihr Gepäck hatte sie schon eingepackt und auch bezahlt, denn ich sah sie nach draußen in den Nebel eilen, der dünner geworden war. Wie ein Phantom bewegte sich Nora Thorn durch die grauen, lückenhaften Schleier.
Ich setzte mich wieder hin, da ich noch den restlichen Tee trinken wollte. Ich dachte über ihre letzten Worte nach. Hatten sie sich wirklich nur besorgt angehört, oder hatte in ihnen auch eine Warnung mitgeschwungen?
Quatsch, da bildete ich mir wieder etwas ein. Manchmal gingen eben bei mir die Gäule durch.
Die Bedienung lief noch herum und erkundigte sich nach weiteren Wünschen.
»Nichts mehr, danke! Die Rühreier waren gut.«
»Freut mich.«
Fünf Minuten blieb ich noch sitzen und hing dabei meinen Gedanken nach. Meine nächste und auch endgültige Etappe war Lauder. Schon jetzt spürte ich einen gewissen Druck im Magen, als ich daran dachte. Ich würde natürlich zum abgebrannten Haus meiner Eltern fahren und auch auf den Friedhof gehen, auf dem sich das Doppelgrab befand. Doch das war nicht mehr so wie früher. Es hatte sich eben zuviel verändert. Außerdem wußte ich auch nicht, ob ich der richtigen Spur nachging. Bisher war alles nur eine Vermutung, aber der Unheimliche mit der Kettensäge war weder eine Vermutung noch eine Einbildung.
Es gab ihn.
Das nicht nur ein-, sondern gleich zweimal. In meinen Träumen und in der Realität. Mein Vater konnte es nicht sein, obwohl er so ausgesehen hatte. Es fiel mir mehr als schwer, diese Tatsache zu akzeptieren, aber ganz ausschließen durfte ich sie nicht. Mein alter Herr hatte noch ein zweites, geheimes Leben geführt. Er hatte sich einer Loge angeschlossen, wobei er später zurückgetreten war und nichts mehr damit zu tun haben wollte.
Natürlich hatte es eine Zeit gegeben, in der ich mehr darüber hatte wissen wollen, doch ich hatte davon Abstand genommen. Ich wollte nichts aufrühren, was besser im Verborgenen blieb, und das hatte nichts mit der Vergangenheitsbewältigung zu tun. Mein Vater war kein Mörder gewesen, er hatte nichts Schlechtes getan und war möglicherweise nur eben mit Dingen in Berührung gekommen, die auch für mich interessant gewesen wären.
Vielleicht waren es auch seine Gene, die mich in diesen Beruf getrieben hatten.
Ich stand auf, legte ein Trinkgeld neben den Teller und ging hoch in mein Zimmer. Das Gepäck mußte noch geholt werden. Es war ja nicht viel, nur eine Reisetasche.
An der Rezeption stand mein Freund von letzter Nacht. Er schaute mich etwas verlegen an, als ich um die Rechnung bat. »Sie sind ja nicht nachtragend, Sir, oder?«
»Nein, warum sollte ich?«
Er schob mir das Formular rüber. »Na, weil ich ziemlich unfreundlich gewesen bin.«
»Es war verständlich.« Den Betrag zahlte ich in bar und ließ mir das Wechselgeld herausgeben.
»Eine Frage habe ich trotzdem noch, Sir, und ich möchte mich auch für meine Neugierde schon jetzt entschuldigen.«
»Bitte.«
Er beugte sich vor, wie jemand, der Angst davor hat, laut zu sprechen. »Waren Sie dienstlich oder privat hier bei uns?«
»Was glauben Sie denn?«
»Keine Ahnung!« preßte er hervor.
»Privat.«
»Das ist gut.« Seine Antwort klang erleichtert. »Ich hatte schon gedacht, Sie würden nach einem Verbrecher suchen. Und dann die Schüsse in der vergangenen Nacht, das ist schon alles sehr ungewöhnlich gewesen. Finden Sie nicht auch?«
Ich hütete mich, etwas zu bestätigen, sondern verabschiedete mich und wünschte ihm alles gute.
Dann verschwand ich aus dem Hotel. Das Gepäck fand im Kofferraum seinen Platz, und bevor ich einstieg schaute ich mich noch einmal auf dem
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