113 - Bote der Nacht
versteht ein Mensch den andern, Senira.«
»Ich glaube, auf deiner Welt würde es mir nicht gefallen«, sagte die Hexe.
Frank Esslin nickte langsam. »Bei uns ist alles wesentlich komplizierter als bei euch. Es gibt zu viele Regeln, Gesetze, die unseren Lebensraum einengen. Man darf dies nicht und jenes nicht, und wenn man gegen die Gesetze verstößt, wird man eingesperrt.«
»Hältst du dich an die Gesetze?«
»Früher habe ich das getan. Ich war verabscheuungswürdig sauber, aber dann hatte ich eines Tages Kontakt mit dem Bösen. Ich wechselte auf die andere Seite, und ich habe erkannt, daß hier meine Zukunft liegt, weil ich auf der schwarzen Seite bessere Chancen habe.«
Senira betrachtete ihn von Kopf bis Fuß. »Es ist noch nicht sicher, daß du noch eine Zukunft hast, Frank Esslin.«
»Oh, ich glaube nicht, daß du morgen noch den Wunsch haben wirst, mir mein Herz zu nehmen.«
»Was macht dich so sicher?« wollte Senira wissen.
»Meine Erfahrung.«
»Es ist gefährlich, den Schlangentempel zu betreten. Weißt du das?« fragte die Hexe.
Frank Esslin hob die Schultern. »Was ist auf Coor nicht gefährlich?«
»Wenn du Pech hast, lebt Rheccman nicht mehr«, bemerkte die Hexe. »Dann hast du dich umsonst in diese große Gefahr begeben.«
»Umsonst bestimmt nicht. Schließlich war es mein größter Wunsch, dich kennenzulernen. Wann wird die Wirkung des magischen Pfeilgifts nachlassen?«
»Folge mir«, sagte Senira kurzentschlossen.
Sie verließ mit Frank Esslin die Felsenkuppel und betrat einen breiten Gang. Der Boden bestand aus geschliffenem Kristall. Senira führte den Söldner der Hölle in einen unterirdischen Raum, an dessen Wänden Fackeln blakten.
Sie trat an ein tiefes Steinbecken, in dem sich glasklares Wasser befand.
»Kein Gefangener war jemals hier«, sagte die Hexe.
»Ich weiß diese Auszeichnung zu schätzen«, gab Frank Esslin zurück.
»Tritt näher«, verlangte Senira.
Er beugte sich über den Beckenrand, und plötzlich wurde seine Kehle eng, denn auf dem Grund des tiefen, klaren Wassers lagen…
Herzen!
***
Wir wußten von Oscar Quarshie, wie sein Angestellter Rick Davenport aussah: Mago hatte den Mann zum Totenkopf-Monster gemacht. Davenport hatte zwei Mordversuche hinter sich, und die Frage lag nahe, wann ihm der erste Mord gelingen würde.
Das bedeutete, daß wir keine Zeit verlieren durften. Wir mußten Davenport unschädlich machen. Allerdings wußten wir nicht, wo sich der Killer befand.
»Wenn wir Glück haben, hält er sich zu Hause versteckt und wartet die Nacht ab«, sagte Mr. Silver, der mit der Psyche solcher Wesen vertraut war.
Quarshie nannte uns die Adresse. Er schlug vor, wir sollten uns sogleich auf den Weg machen.
»Wir setzen Sie zu Hause ab«, sagte ich.
»Das ist die entgegengesetzte Richtung«, erwiderte Quarshie. »Es macht mir nichts aus, zu Fuß zu gehen, Mr. Ballard. Sie wissen ja, es ist nur ein Katzensprung.«
»Fühlen Sie sich okay?«
»Als wäre ich nie ohnmächtig gewesen«, behauptete der Bestattungsunternehmer. »Sie brauchen sich um mich wirklich keine Sorgen zu machen.«
»Na schön«, sagte ich zu Mr. Silver. »Dann wollen wir mal sehen, ob Rick Davenport zu Hause ist. Wäre beinahe zu schön, um wahr zu sein.«
Ich sah auf meine Uhr und wunderte mich. Die Ohnmacht war mir viel länger vorgekommen, als sie tatsächlich gedauert hatte.
Vermutlich hatte Magos Zauber auch die Zeit manipuliert.
Wir mußten uns sputen, denn der Zeitpunkt von Tuvvanas Beerdigung rückte immer näher, und wir wollten nach Möglichkeit dabeisein, wenn man den weiblichen Gnom zur letzten Ruhe bettete.
Wichtiger aber war es, Rick Davenport auszuschalten, denn sonst setzte er fort, was er in der vergangenen Nacht begonnen hatte.
***
»Du stehst vor Jeneod, dem Lebensquell«, sagte Senira zu Frank Esslin.
Der Söldner der Hölle war beeindruckt. Einen solchen Vorzug hatte vor ihm noch kein Gefangener genossen. Er sah die Herzen auf dem tiefen Grund liegen, und ein beklemmendes Gefühl machte sich in seiner Brust breit. Sein Herz konnte auch schon bald dort unten liegen.
Nicht nur Mord-Magiern darf man nicht trauen.
Auch wer einer Hexe vertraute, war ein Narr. Senira würde genießen, was er ihr zu geben hatte, und wenn sie seiner überdrüssig geworden war, würde er so enden wie all die andern, die die Amucas gefangen hatten.
Das hieß, daß er den Spieß rechtzeitig umdrehen mußte.
»Ich dachte, Jeneod wäre ein Lebewesen oder ein Götze«,
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