1132 - Hexenfalle Bamberg
»Ja, irgendwie ist es auch unmöglich, Mutter. Aber ich muß ihr einfach glauben. Ulrike ist nicht verrückt, und sie bildet sich die Dinge auch nicht ein.«
»Aber sie träumt.«
»Die Wahrheit, Mutter, nur die reine Wahrheit. Etwas anderes kannst du ihr nicht anhängen. Sie träumt, sie schlafwandelt, und sie wird wach, wenn ein Teil des Traumes sich plötzlich als die grausame Wahrheit entpuppt. Und deshalb muß Ulrike auch geschützt werden. Vor ihren Träumen und sogar vor der schrecklichen Wahrheit.«
»Das willst du übernehmen?«
»Ulrike ist meine beste Freundin, vergiß das nicht. Sie hätte das gleiche auch für mich getan.«
»Das heißt, du willst wieder zu ihr fahren?«
»Ja, das möchte ich.«
»Wann?«
»Bei Einbruch der Dunkelheit bin ich wieder bei ihr. Zuvor muß ich noch in die Uni.«
Vor der nächsten Frage fürchtete sich Elke Hinz ein wenig. »Du wirst die Nacht wieder bei ihr verbringen?«
»Das habe ich ihr versprochen.«
Elkes Herz schlug schneller. »Du weißt selbst, was hier passiert ist, Monika. Die Lugner ist wieder frei. Wie immer das auch geschehen konnte, man kann zugleich das Gefühl haben, daß es nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Genau so scheint es mir auch bei deiner Freundin zu sein. Sie sieht im Traum nicht nur dieses Monster, sondern sogar eine mehrfache Mörderin, von der manche Menschen behaupten, daß sie eine Hexe mit übersinnlichen Fähigkeiten ist. Das zusammenzubringen, fällt mir wirklich nicht leicht, Kind. Und ich habe auch Angst. Dein Vater jagt diese Mörderin. Wäre es da nicht vernünftiger, wenn du ihm das gleiche erzählst wie mir?«
»Papa ist Polizist. Was kann der mit Träumen anfangen? Der braucht doch Beweise. Fakten, nichts als Fakten, wie es so schön heißt.«
»Das ist nur die eine Seite.«
»Ach. Und wie sieht die andere aus?«
»Bitte, werde nicht patzig. Dein Vater hat es auch gelernt, umzudenken, und das weißt du sehr genau.«
Monika winkte ab. »Klar, die Sache mit dem Sensenmann. Wer kann schon sagen, was das für eine Gestalt gewesen ist? Eine Täuschung oder so.«
»Nein, das war sie bestimmt nicht. Du brauchst nur mit deinem Vater zu reden.«
»Vielleicht später mal.« Monika stand auf und warf einen Blick auf die Uhr. »Ich muß jetzt wirklich gehen. Die Vorlesung beginnt. Kann ich wieder mal deinen Corsa haben?«
»Ja, in Gottes Namen, nimm ihn.«
»Danke Mutti.« Elke bekam noch einen Kuß, dann eilte ihre Tochter fort.
Elke Hinz blieb am Tisch sitzen. Sie hörte, wie die Haustür ins Schloß fiel und bekam auch mit, wie der Wagen gestartet wurde, aber sie selbst fühlte sich wie in einem luftverdünnten Raum schwebend. Das Gespräch mit ihrer Tochter hatte seine Spuren hinterlassen. Elke wurde einfach den Verdacht nicht los, daß der Schlüssel zur Aufklärung der schrecklichen Morde in den Händen einer gewissen Ulrike Feind lag. Oder zumindest einen Teil davon. Drei Frauen waren umgebracht worden. Alle im Alter zwischen Zwanzig und Dreißig. Es hatte kein Motiv gegeben, zumindest war nichts bekannt geworden, weil die Angeklagte nicht reden wollte. Elke Hinz besaß genügend Phantasie, um sich vorstellen zu können, daß es bei den drei toten Frauen ebenso angefangen hatte wie bei Ulrike.
Diese Schlußfolgerung ließ sie schaudern, auch deshalb, weil ihre eigene Tochter in die Sache verwickelt war.
Oder war alles nur Spinnerei?
Elke wußte es nicht. Für sie stand allerdings fest, daß ihr Mann und damit auch John Sinclair Bescheid wissen mußten. Uwe hatte versprochen, mit seinem Gast vorbeizuschauen, solange es noch hell war. Denn er war davon überzeugt, daß erst die Nacht eine gewisse Spur oder vielleicht sogar die Aufklärung bringen würde. Falls es dann nicht zu spät war…
***
Die Wohnung der Loretta Lugner lag in einer Häuserzeile, die Klein Venedig genannt wurde. Und sie hatte in einem Haus gelebt, das noch nicht renoviert worden war wie viele andere. Wer hier seine Miete zahlte, der hörte Tag und Nacht das Rauschen des Flusses, der ihn wie ein guter Kamerad begleitete.
Wir hatten unseren Wagen nahe beim Haus abstellen können. Ich war mit dem Golf gefahren und hatte mich von Uwe Hinz einweisen lassen. Vom Fluß her wehte uns ein kalter Wind in die Gesichter. Am Ufer sah ich ein Ausflugsboot auf den Wellen schaukeln, das in den Herbst- und Wintermonaten nicht auf der Regnitz fuhr. Schräg gegenüber malte sich die Fassade eines ehemaligen Gefängnisses ab, und über dem Wasser trudelte
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