1132 - Hexenfalle Bamberg
Nähe war, merkte ich sehr schnell, denn plötzlich kippte er vom Dach nach unten. Da gellte sein wütender Schrei in meinen Ohren nach, und ich zuckte zurück. Trotzdem erwischte mich eine Schwinge oder ein Flügel hart am rechten Ohr und darüber. Der Schmerz biß sich in die Haut hinein, als wäre ich von einem Schnabelhieb getroffen worden. Etwas Warmes drang aus der Wunde an der rechten Kopfseite. Ich tastete hin und bekam rote Fingerkuppen.
Den Vogel sah ich nur schattenhaft. Aber ich vergaß seine Größe nicht. Er war größer als die anderen. Auch von der Farbe her unterschied er sich. Bevor er hinter einem hohen Tor verschwand, kam mir seine Größe zu Bewußtsein, vor allen Dingen die Ausmaße seiner Schwingen. Jetzt war ich überzeugt davon, daß es kein normaler Vogel war.
Ich drückte das Fenster wieder zu, entdeckte einen recht blinden Spiegel neben dem Schrank, ging hin, sah meine Wunde trotzdem an der rechten Seite, die sich noch innerhalb der Haare befand. Drei Blutstreifen hatten sich aus ihr gelöst und waren an meinem Gesicht nach unten gelaufen.
Ich holte ein Taschentuch hervor und tupfte das Blut ab. Es war keine große Wunde und blutete deshalb auch nicht zu stark. Es war mehr ein Riß, den die harte und schnelle Berührung hinterlassen hatte. Kein Schnabelhieb.
Wobei ich mir nicht vorstellen konnte, daß dieses Wesen mit einem Schnabel zugeschlagen hatte.
Leider hatte ich es nicht genau sehen können, aber ein Vogel war es nicht gewesen. Eher ein - allgemein gesagt - fliegendes Tier, das wir gestört hatten.
Ich hörte, wie Uwe Hinz den kleinen Raum betrat. Als ich mich zu ihm umdrehte, erschrak er. »He, das ist Blut!«
»Gut beobachtet.«
»Hast du dich irgendwo geritzt?«
»Nein, ich bin geritzt worden.«
»Wie das?«
»Tja, von einem Vogel, der keiner ist, sondern irgendein fliegendes Tier.«
Die Reaktion des Kommissars verwunderte mich. Er erbleichte nicht nur, er wich auch zwei Schritte zurück, bis er mit dem Rücken gegen den Türpfosten stieß.
»He, was ist mit dir?«
»Was hast du da gesagt?«
»Ein Vogel, der keiner war.«
Uwe Hinz stöhnte auf. So kannte ich ihn nicht. Plötzlich verspürte ich den Wunsch, ihn zu stützen, einen so schlappen Eindruck machte er auf mich. Ich lief auch zu ihm hin, da hatte er sich schon abgedreht und war in den größeren Raum gegangen.
»Ich muß dir etwas sagen, John.«
»Okay, und was?«
Neben einem verschlissenen Sessel blieb er stehen, ohne darin Platz zu nehmen. Er schaute ihn nur an, zuckte mit den Schultern und sagte dann: »Ich habe dir noch nicht gesagt, was ich in der vergangenen Nacht erlebt habe. Ich wollte es dir erst später erzählen.«
»Dann raus damit.«
»Der Vogel, der keiner ist, spielt eine besondere Rolle dabei. Und Loretta, die Hexe.«
Ich stellte keine Zwischenfragen und ließ ihn in Ruhe reden. Was ich erfuhr, war alles andere als lächerlich. Es war eine Geschichte, die den guten Uwe Hinz ebenso das Leben hätte kosten können, wenn diese Loretta Lugner konsequent gewesen wäre. Das war sie nicht. Sie hatte ihn warnen wollen. Sie wollte mit ihm spielen. Sie wollte ihm beweisen, wer die Herrin ist, und sie hatte zugleich ihren Beschützer mitgebracht, das Mittelding aus Vogel und Flugdrachen.
»Du kannst dir nicht vorstellen, John, wie ich mich gefühlt habe. Ich lag auf dem Boden, dieses… dieses Ding hockte auf mir. Ich spürte seine Zähne an meinem Hals. Ein Biß, und es wäre um mich geschehen gewesen.«
»Das hättest du mir vorher sagen müssen.«
Uwe wirkte geknickt. »Ja, ich weiß, aber was hätte das geändert?«
»Sicher bin ich mir auch nicht. Vielleicht wäre ich vorsichtiger gewesen. Ich hätte auch auf den komischen Vogel oder Drachen schießen können. Egal, wir sind beide recht gut davongekommen, aber eines steht für mich fest. Er ist Lorettas Helfer.«
»Ja.«
»Warum gibt es ihn?«
»Könntest du dir da nicht selbst besser eine Antwort geben?«
»Nein, aber ich kann mir vorstellen, daß eine bestimmte Unperson ihr dieses Geschöpf als Leibwächter zur Seite gestellt hat.«
»Meinst du den Teufel?«
»Wen sonst, Uwe? Darauf hat sie sich doch in ihrer letzten Rede berufen.«
»Leider.« Uwe nickte. »Und leider entspricht es wohl der Wahrheit, obgleich ich mich immer noch dagegen wehren will. Es paßt einfach nicht in mein Weltbild.«
»Das war bei dem Sensenmann nicht anders.«
»Richtig.« Er schaute sich im Zimmer um. »Ich denke, daß wir hier nichts mehr verloren
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