1133 - Der Mönch mit den Totenaugen
der etwas sagen wollte, sich aber nicht traute.
Deshalb übernahm ich das Wort. »Keine Sorge, meine Liebe, wir sind in Sicherheit.«
»Ich weiß es nicht. Der Mönch ist gefährlich.« Sie erschauerte und drückte sich dann noch enger an mich. Ihre Augen waren groß, ängstlich. Immer wieder beobachtete sie die Umgebung, aber sie sah nur Father Ignatius.
»Wenn ich nur wüßte, was ich ihm getan habe und warum er mich verfolgt«, sagte sie leise. »Trotz allem muß ich sehr dankbar für mein bisheriges Leben sein. Es lief bisher sehr gut. Vielen anderen geht es schlechter.«
»Wie lange seid ihr schon hier in London?«
»Gestern kamen wir an.«
»Und ihr habt den Waggon nicht verlassen?«
»So ist es.«
»Warum gerade hier?«
Alissa hob die Schultern. »Ich wollte mich verstecken. Ich wollte an einen einsamen Ort. Nicht in ein Hotel. Auch mit Rücksicht auf Unschuldige. Wenn dieser Mönch mit den Totenaugen erscheint, soll er keine Unschuldigen töten können. Das alles haben wir uns so ausgedacht. Außerdem würde es nicht lange so bleiben.«
»Das stimmt«, gab ich zu. »Nur frage ich mich, warum du von einem Mönch verfolgt wirst. Gerade von einem Mönch. Was hast du ihm denn getan, daß er dir auf den Fersen ist?«
»Das ist mir ebenfalls ein Rätsel«, gab sie zu. »Ich habe wirklich keine Ahnung, weshalb er das tut. Ich bin mir auch keiner Schuld bewußt. Aber es muß mit meiner Vergangenheit zusammenhängen, die ich im Waisenhaus verbracht habe.«
Mir war etwas aufgefallen, das ich loswerden mußte. »Trotz allem, ich meine, obwohl du dich von einem Mönch verfolgt weißt, bist du zu einem Mönch gegangen, um dort Schutz zu finden. Damit habe ich meine Probleme…«
Jetzt lächelte sie mich fast fröhlich an. »Das kann ich mir vorstellen, aber ich habe schon von Berufs wegen mit Klerikern zu tun gehabt. Ich habe mich bei ihnen immer sicher gefühlt, und besonders bei Father Ignatius. Das steckt sehr tief in mir. Erklären kann ich es nicht. Es hängt vielleicht mit meiner Vergangenheit zusammen, über die ich allerdings nichts weiß.« Sie hob die Schultern. »Nur muß etwas passiert sein, weshalb ich mir einen Mönch zum Feind gemacht habe. Genaueres kann ich nicht sagen.«
»Okay, lassen wir das. Jetzt bist zu sicher, daß sich dieser Verfolger in deiner Nähe befindet?«
»In unserer.«
»Warum?«
»Ich spüre es.«
»Sehr gut«, sagte ich, »wobei sich meine nächste Frage automatisch anschließt. Warum spürst du es, und warum spüren wir es nicht? Das kann ich schlecht begreifen.«
Alissa schaute ins Leere. »Wenn ich ehrlich sein soll, weiß ich das auch nicht. Es ist allein meine Schuld. Ich mache mir auch Vorwürfe, daß ich Father Ignatius mit hineingezogen habe. Er wird dringend in Rom gebraucht und hat einfach keine Zeit, den Schutzengel zu spielen. Er bestand darauf, hier nach London zu kommen, weil er meinte, daß ich hier sicherer werde. Er hat sehr viel Vertrauen zu dir, John, das habe ich bemerkt.«
»Wir werden sehen.«
Zunächst sahen wir Father Ignatius, der zu uns zurückkehrte und die Achseln zuckte. »Es tut mir leid, Alissa, aber gesehen habe ich ihn nicht.«
Sie wußte zunächst nicht, was sie sagen sollte. »Gelogen habe ich nicht«, stotterte sie. »Er… er… ist mir aufgefallen. Seine Aura war zu spüren. Echt…«
»Ja, das wissen wir beide.« Ignatius streichelte ihr übers Haar. »Du bist in Sicherheit, Kind. Sorgen brauchst du dir nicht mehr zu machen, obwohl ich weiß, daß dies nur leere Worte sind. Aber John Sinclair ist ein guter Schutzengel, wenn ich wieder zurück nach Rom muß.« Er wandte sich direkt an mich. »Sollen wir fahren, John?«
»Ich habe nichts dagegen. Außerdem kannst du bei mir übernachten, Ignatius, während Alissa nebenan bei Shao und Suko schläft.«
»Einverstanden.«
»Mein Wagen steht nicht weit entfernt. Ich hoffe, daß ich ihn noch so vorfinde, wie ich ihn verlassen habe.«
»Was sollte passiert sein?«
»Ich habe vorhin zwei Typen getroffen, die sich sehr stark fühlten.«
»Die aber nichts mit Alissa zu tun hatten - oder?«
»Das nehme ich an.«
Wir hatten die junge Frau in die Mitte genommen. Von zwei Seiten wurde sie beschützt, und sie schaute sich auch ständig um, ob ein Feind in der Nähe lauerte, aber da war nichts. Die Leere dieses Industriegeländes wirkte weiterhin wie eine nicht besetzte Bühne.
Alissa mußte immer wieder an den Mönch denken und sprach auch über ihn. »Seine Augen sind leer und
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